Advent
Morgen ist der erste Advent. Er steht unter dem biblischen Satz: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“ Diese Worte stammen aus dem Buch des Propheten „Sacharja“ – vor über zweitausend Jahren hat er sie geschrieben als Hoffnungssätze in einer schwierigen Zeit. Sie sprechen zu Menschen, die warten. Advent ist die Zeit des Wartens und der Vorbereitung auf die Ankunft des Gottessohnes Jesus Christus. Ankunft heißt im Lateinischen „adventus“ darum Advent! In der Kinderzeit war klar, worauf man sehnsüchtig wartete. Als Erwachsene ist das viel schwieriger! Ich persönlich stelle in der Adventszeit immer fest, Kerzenschein und Kekse sind gemütlich, aber eigentlich bringen sie mich dem Advent nicht näher!
Vor einigen Tagen habe ich Abu, einen jungen Flüchtling, getroffen. Er lebt übergangsweise in einer Frankfurter Kirche. Abu ist gerademal 18. Seine Eltern stammten aus Ghana und arbeiteten in Libyen. Im Bürgerkrieg kamen seine Eltern ums Leben. Als Minderjähriger floh er von Libyen in einem Boot nach Lampedusa. In Italien beantragte er Asyl und konnte zunächst eine Weile in einem Camp leben. Irgendwann wurde er auf die Straße gesetzt. „Es war unheimlich schwer für mich, alleine zurecht zu kommen,“ erzählt Abu. Und dann weiter: „Niemand hat mir in dieser Zeit geholfen. Ich habe auch schlechte Erfahrungen gemacht.“. Vor einigen Monaten ist er mit einem Bus nach Frankfurt gekommen, auch hier lebte er zunächst wieder auf der Straße.
Wenn ich ehrlich bin, kann ich seine Geschichte kaum ertragen. Und vorstellen kann ich mir eine solche Odysee auch nicht. Sie rührt tief an mein Rechtsempfinden: Warum hilft niemand einem Minderjährigen im Bürgerkrieg? Warum müssen Menschen lebensgefährliche Wege über das Mittelmeer auf sich nehmen? Welches Recht hat er auf eine Zukunft in Deutschland?
Bei Abus Geschichte bin ich plötzlich mitten im Advent. Ich spüre, dass ich nicht mehr lange warten kann. Ich spüre meine Sehnsucht nach dem Beginn einer neuen Zeit. Einer Zeit, in der gleiches Recht für alle gilt, in der die Schwachen gestützt und Flüchtlingen geholfen wird. Und die Worte des Sacharja klingen ganz neu in meinen Ohren: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“