hr2 ZUSPRUCH
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Vorländer, Martin

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer und Senderbeauftragter für den DLF, Frankfurt

Wer hat dich geschlagen?

Wer hat dich geschlagen?

Wer von Joels 64 Freunden auf Facebook ihm die tödliche Botschaft geschickt hat, wird wohl nie geklärt werden. Die flehentliche Anfrage seiner Mutter beantwortet Facebook mit einer standardisierten E-Mail: „Leider benötigen wir erst eine gerichtliche Verfügung, um deine Anfrage weiter zu bearbeiten.“ Die Mutter stellt Anzeige gegen Unbekannt. Doch die Staatsanwaltschaft Klagenfurt stellt das Verfahren nach wenigen Tagen ein. Von der Polizei bekommt die Mutter zu hören, sie solle sich damit abfinden. Es war eben ein Böse-Buben-Streich.

Ein Böse-Buben-Streich. Joel war 13 Jahre alt. Ein ganz normaler Teenager und wie ein ganz normaler Teenager viel auf Facebook unterwegs, der weltweit größten Freunde-Maschine im Internet. Joel wollte nur eben mal seine Kontakte checken und dann gleich mit seinem besten Freund los zu einem Treffen. Die Nachricht auf seiner Facebook-Pinnwand muss Joel getroffen haben wie ein Schlag ins Gesicht, wie ein tödlicher Stich in die Seele. Ein Unbekannter hatte übelste Beschimpfungen über ihn geschrieben. Alle auf Facebook konnten es lesen. Wie Dreck klebten die Worte an der Internetwand. Auch wenn man eine Beleidigung, ein Foto mit einem Klick löschen kann, ist es nicht aus der Welt. Das weltweite Netz vergisst nie.

Vielleicht hat sich der Schreiber oder die Schreiberin gar nicht viel dabei gedacht. Ein Böse-Buben- oder Miese-Mädchen-Streich eben. Schimpfwörter und Hänseleien gehören immer schon zum Umgangston auf dem Schulhof. Das war vermutlich schon bei unseren Großeltern so. Heute nennt man das „dissen“. „Dissen“ kommt aus dem Englischen, von „disrespect“, „discriminate“ oder „discredit“. Auf Deutsch: Einen anderen fertig machen. Ihn respektlos behandeln. Ihn diskriminieren und diskreditieren, so dass das Vertrauen in ihn und sein Selbstvertrauen zerstört werden.

Joel hat das nicht verkraftet. Als sein Freund Philipp, mit dem er losziehen wollte, ins Zimmer kommt, ist Joel weg. Die Terrassentür steht offen. Joel ist zu den Bahngleisen gelaufen, hat sich darauf gelegt und sich vom nächsten Zug überrollen lassen.

Wer hat ihn mit seinen Worten so tödlich getroffen? Mit der quälenden Frage müssen Joels Eltern leben. Damit muss auch der oder die Schuldige leben. Der Mensch, der seine bitterböse Attacke aus dem Verborgenen ins Netz gestellt hat.

„Weissage, wer ist’s, der dich schlug?“ Das höhnen die Gefängniswärter, die Jesus den Kopf verdeckt haben und ihm mit Fäusten ins Gesicht schlagen. (Lukas 22, 64 / Matthäus 26, 68). Es gibt in uns die grausame Leidenschaft zu suchen, was anderen Leiden schafft. Es gibt die Passion, den Punkt zu treffen, der dem anderen den größten Schmerz zufügt. Ist doch bloß ein Spaß. Ein tödlicher Spaß. Worte wie Waffen, die auf den anderen gerichtet werden. Am besten aus dem Hinterhalt, so, dass niemand sieht, von wem der Schlag kommt.

An dem Gymnasium, in dem Joel in die achte Klasse ging, ist einiges passiert: Facebook ist auf den Schulcomputern gesperrt. Es gibt Workshops zum Thema Mobbing. Schulpsychologen sind für die Kinder da. Joels Mutter sagt: „Wenn ich durch meine Geschichte erreiche, dass andere Eltern ihre Kinder nicht unkontrolliert auf Facebook lassen, habe ich Joels sinnlosen Tod ein bisschen sinnvoll gemacht.“