hr2 ZUSPRUCH
hr2
Vorländer, Martin

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer und Senderbeauftragter für den DLF, Frankfurt

So wenig Geld und noch so viel Monat

So wenig Geld und noch so viel Monat

„Mir ging es nicht immer so gut wie heute“, sagt die Frau, der ich bei einem Sommerabendgetränk gegenüber sitze. Sie ist eine elegante Erscheinung, gut betucht im doppelten Sinn des Wortes. „Heute muss ich mir keine Geldsorgen machen“, erzählt sie. „Aber es gab eine Zeit, da musste ich mit Kind, Hund und einem Staubsauger völlig von vorne anfangen.“ „Warum Staubsauger?“, frage ich. „Ich weiß nicht, das war das, was mir geblieben war. Oft saß ich über meinem Kontostand und wusste nicht, wie ich über die Runden kommen soll. So wenig Geld und noch so viel Monat. Ich weiß: Was ich heute habe, das ist alles überhaupt nicht selbstverständlich.“

Überhaupt nicht selbstverständlich. Was sie erzählt, macht mir wieder einmal bewusst, was in meinem Leben überhaupt nicht selbstverständlich ist. Samstagmorgen, Ende der Woche ist ein guter Zeitpunkt, finde ich, um Revue passieren zu lassen und mir meine kleine persönliche Liste der Dankbarkeiten vor Augen zu führen. Es ist nicht selbstverständlich, wenn ich jeden Morgen dieser Woche aufstehen konnte. Vielleicht mal etwas schwergängig, den anderen Tag leichtfüßig. So oder so: Aufstehen ist ein täglich neues Geschenk. Nicht selbstverständlich angesichts derer, die nicht aufstehen können, weil sie an Leib oder Seele krank sind.

Wenn ich einen Beruf habe, der mir Freude macht, zumindest meistens, dann ist das ein Grund zur Dankbarkeit. Nicht selbstverständlich angesichts vieler Arbeitsloser oder auch angesichts derer, die sich aufarbeiten und in ihrem Job unglücklich sind. Wenn ich nicht jeden Cent und Euro umdrehen muss, sondern mir kaufen kann, was ich brauche, und mir auch mal was von dem leisten kann, was ich mir wünsche, kann ich dankbar sein. Nicht selbstverständlich angesichts derer, die nicht genug zum Leben haben oder sich vor dem sozialen Absturz fürchten. Ich habe nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern ein Zuhause, in dem ich mich wohl fühle, in das ich mich zurückziehen oder das ich für andere öffnen kann. Nicht selbstverständlich angesichts vieler Obdachloser, angesichts vieler, die ihre Heimat verlassen müssen, auf der Flucht sind oder Asyl suchen.

Vor einem Essen halte ich kurz inne und danke – mal als Tischgebet, mal einfach nur als dieses eine Wort in den Himmel geworfen: Danke. Ein Teller Essen vor mir – überhaupt nicht selbstverständlich angesichts des Hungers in der Welt. Dass ich die Schläge und Krisen, die mir das Leben bislang zugemutet hat, verkraftet habe, dafür bin ich dankbar. Nicht selbstverständlich, denn woher soll ich wissen, wie viel meine Seele aushält. Dass ich frei leben kann, meine Meinung offen sagen kann, dass ich keine Angst haben muss, diskriminiert oder verfolgt zu werden für das, was ich bin, wie ich lebe, glaube, denke, handle, dafür bin ich dankbar. Nicht selbstverständlich angesichts der vielen Länder, in denen Terror und Gewalt herrschen. Dass ich in einem Land mit Frieden lebe, dafür bin ich dankbar. Ich kenne Krieg nur aus Erzählung. Für andere in der Welt ist es der tägliche Horror oder die schreckliche Vergangenheit, von der sie traumatisiert sind.

Dass ich Liebe und Freundschaft erfahre, dafür bin ich dankbar. Nicht selbstverständlich. Ich kenne es, mich nach Liebe, nach Menschen an meiner Seite zu sehnen. Es gibt bestimmt in der vergangenen Woche einzelne Begebenheiten, schöne Begegnungen, für die ich einfach mal Danke sagen kann. Jetzt ist die Liste der Dankbarkeiten ziemlich lang geworden. Auch ziemlich grundsätzlich. Aber ab und zu muss das einfach mal sein! Danke Ihnen fürs Zuhören!