Singles und der Zölibat zwischen Charisma und Zwang
Laut Statistischem Bundesamt hat sich die Lebensform ‚Single’ gesellschaftlich längst etabliert. Inzwischen leben bereits fast 40% der Menschen in Deutschland als Single, also allein. Viele dieser Singles leben nicht freiwillig alleine. Sie wünschen sich einen Partner oder eine Partnerin; es ist dann gerade am Wochenende schmerzlich, wenn wieder überall nur Paare und Familien mit Kindern unterwegs sind, in den Cafés und Parks und wenn auch in den Kirchen das Familienmodell als Lebensform so sehr gepriesen wird (Vgl. Ilona Nord, Bilder vom Single-Leben im Gottesdienst. In: Praxis Gemeindepädagogik 65. Jg. 2/2012, 45-48).
Demgegenüber ist gerade eine Eigenart der christlichen Religion, das sie die einzelne Person hoch schätzt. Liest man die Jesus-Geschichten in der Bibel durch, spricht er mit einzelnen, heilt einzelne und hilft einzelnen Personen.
Der Apostel Paulus greift ein urchristliches Taufbekenntnis in seinen Briefen auf, in dem heißt es: „Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus … hier ist nicht männlich und weiblich, denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Galater 3, 26-28) Das heißt: In der christlichen Gemeinde kommt es nicht darauf an, ob jemand Frau oder Mann ist und es kommt auch nicht darauf an, ob jemand verheiratet ist oder nicht. Man kann sich vorstellen, wie revolutionär dieses Taufbekenntnis zu Zeiten des Römischen Reiches in Israel und Palästina gewirkt haben muss. Die Ehe wird in der Kirche bis heute hoch geschätzt, aber biblisch gesehen ist sie für ein erfülltes Menschsein keineswegs nötig. Im Gegenteil: Es gibt Bibelworte, die die Ehelosigkeit höher schätzen als das Verheiratetsein (Korinther 7, 25f.).
Aber das ist auch wichtig: Die Ehelosigkeit ist so wenig ein Gebot, wie auch die Ehe keines ist. Beide Lebensformen kann man als eine persönliche Berufung Gottes verstehen, als ein Charisma.
Eine Tradition, die die Ehelosigkeit zur Bedingung macht, ist die Zölibatspflicht für katholische Priester. Es ist für eine evangelische Theologin einigermaßen überraschend zu lesen, was derzeit darüber in der Römisch-Katholischen Theologie geschrieben und diskutiert wird. Es gibt starke Stimmen, die die Trennung von Priesteramt und Zölibat vorschlagen. Da kommt Einiges in Bewegung. Die Diskussionen um Zölibat und sexuellen Missbrauch werden intensiv und mit großer Direktheit geführt. Dies geschieht z.B. in dem Buch des Würzburger Theologen Erich Garhammer. Er hat Beiträge unter dem Titel „Zölibat zwischen Charisma und Zwang“ herausgegeben (vgl. Erich Garhammer, Zölibat zwischen Charisma und Zwang. Würzburg (Echter) 2011, 7f.). Garhammer ist der Meinung, dass die Römisch-Katholische Kirche die Zölibatspflicht für Priester jederzeit ändern könnte, ohne gegen neutestamentliche Erkenntnisse oder die eigene Tradition zu verstoßen.
Nun plädiert er aber nicht für Ehe und Familie als die besseren Lebensformen, sondern sagt, die katholische Kirche könnte die Ehelosigkeit – wie er es ausdrückt – um des Himmelreiches willen zu neuem Glanz bringen, wenn sie das Gesetz des Zölibats aufheben würde. Er ist davon überzeugt, dass nicht nur die Kirche, sondern die Welt insgesamt ärmer wäre, wenn es nicht immer wieder Menschen gäbe, die sich selbst und ganz freiwillig für die Ehelosigkeit entscheiden.
Gemeinschaft in Ehe und Familie, daneben ein Leben als Single – beides hat seinen Segen, der sich entfalten kann. Aber entfalten kann sich Segen wohl nur dann, wenn ich nicht in eine Lebensform hineingezwungen werde.