hr2 ZUSPRUCH
hr2

Eine Sendung von

Pastorin im Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden, Marburg

Singen

Singen

Der erste Gefangenenchor stammt nicht aus Verdis Oper Nabucco, sondern aus der Bibel. Es ist eigentlich nur ein Duett, die Apostel Paulus und Silas sangen nämlich im Gefängnis. Das berichtet die Apostelgeschichte. Man hatte Paulus und Silas angeklagt, sie würden Unruhe in die Stadt bringen. Dann hatte man sie geschlagen und schließlich ins Gefängnis gebracht. Mitten in der Nacht beginnen sie zu singen. Warum tun sie das? Vielleicht half ihnen das Singen gegen die Angst. Ich kenne das auch von mir. Es kam schon vor, wenn ich abends im Dunkeln einen einsamen Weg entlang ging, dass ich mich besser fühlte, wenn ich sang. Die Angst schnürt mir die Kehle zu, aber wenn ich singe, kann sich meine Kehle nicht mehr verengen, denn das Singen braucht Weite.

Vielleicht half es Paulus und Silas auch, dass sie im gemeinsamen Singen den anderen hören konnten. So wussten beide, ich bin hier unten im Kerker nicht alleine, mein Freund ist in der Nähe, ich höre ihn. Vielleicht lenkte sie das Singen davon ab, sich zu viele Sorgen zu machen. Sorgen, welches Urteil man über sie fällen würde, Sorgen um das eigene Leben. Sich auf das Singen zu konzentrieren, verwehrte den düsteren Gedanken, sich breit zu machen. Durch ihr Singen setzten sie das Lob und die Freude über die Angst und nahmen ihr somit die Macht.

Die Apostelgeschichte erzählt weiter: Indem sie Loblieder sangen, beteten sie zu Gott. Sie hielten sich also vor Augen, was sie schon Gutes durch Gott erfahren hatten und lobten ihn dafür. Jetzt waren sie in einer erbärmlichen Situation, aber innerlich schöpften sie Kraft aus früheren, glücklichen Erfahrungen. Sie richteten sich beim Beten auf das aus, was sie über Gott Gutes zu sagen wussten. Sie schauten nicht auf das eigene Leid, sondern auf die Größe Gottes. Sie lobten natürlich nicht ihre erbärmliche Situation, aber sie lobten Gott. So gewannen sie im Beten und Singen einen inneren Freiraum, obwohl sie äußerlich im Gefängnis waren.

In Gott hatten sie ein Gegenüber, auf das sie schauen konnten, über das sie sich freuen konnten, mit dem sie sich verbinden konnten, auch wenn es aktuell schwer war. Das war ein inneres Geschehen, über das keine weltliche Macht Gewalt hat.

Ich bin froh, dass ich meine Lebenssituation momentan nicht mit einem Gefängnis vergleichen muss. Aber gerade in diesem starken Kontrast, den das Bild von den beiden singenden Gefangenen zeichnet, wird mir deutlich: Ich kann viel darin gewinnen, auch in meinem Leben zu singen, zu beten und zu glauben. Es schenkt mir Mut. Es hilft gegen die Einsamkeit. Es richtet meinen Blick auf die Freude, die Gott schenkt. Ich fühle mich sicher, weil ich weiß, egal wo ich bin, ich werde beten können. Meine innere Freiheit, Gott zu loben, kann mir niemand nehmen.