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Häbel, Dr. Ulf

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

„Setz Dich und schwätz“

„Setz Dich und schwätz“

In diesem Jahr sind in unserem Dorf ein paar Bänke aufgestellt worden. Die haben rüstige Rentner zusammengezimmert. Auf zweien steht “Bank der Begegnung“. Jemand meinte:  Das hört sich etwas pathetisch an. Wir hätten lieber draufschreiben sollen: „Setz dich und schwätz!“ Wir haben vor, vor jedes Haus, in dem ein Mensch alleine wohnt, so eine Bank stellen. Die ist dann die sichtbare Aufforderung: Komm raus, setz dich vors Haus; und wenn jemand vorbeikommt, schwätz mit ihm. Es gibt eine Reihe alter Menschen bei uns, die alleine und zurückgezogen leben. Alterseinsamkeit ist nicht nur ein Wort. Weil es immer mehr alte Menschen gibt, die alleine sind, ist die Herausforderung umso größer, dass sie Kontakt zueinander finden.

„Komm raus und schwätz“ heißt: Es ist besser mit jemanden über Gott und die Welt zu reden als einsam in der Stube zu sitzen und Löcher in die Luft zu gucken. Es gab Zeiten, da war das mit dem Kontakt leichter. Als im Dorf noch viel Landwirtschaft war, traf man sich an der Milchsammelstelle oder am Brunnen, wo man die Tiere tränkte. Die alten Leute hatten ihren Platz in der täglichen Arbeit oder eben auf der Bank vor dem Haus.

Wir haben in diesem Jahr in unserem Dorf einen Verein gegründet. Der heißt „Vogelsberger Generationennetzwerk, die Nachbarschaftsfamilie“. Wir haben hundertvierzig Mitglieder.  Zwei leerstehende Häuser mit Stall und Scheune haben wir gekauft und wollen sie ausbauen zu einem Haus der Begegnung. Dort sollen sich tagsüber die alten Leute begegnen, die alleine sind. Einen Dorfladen wollen wir einrichten, im Keller eine Werkstatt für rüstige Rentner. Vielleicht bauen sie Bänke, reparieren Möbel oder leiten die Kinder unserer Schule im Werkunterricht an wie man mit Hammer und Säge, Bohrer oder Farbe umgeht.

In unserer Initiative steckt die Vision: Das Dorf ist wie eine große Familie, die sich aus Nachbarn, aus Kindern und Alten, aus Einheimischen und Fremden zusammensetzt. Da hat jeder seinen Platz, da kann man sich begegnen, sich betätigen und von seinem Leben erzählen. Denn wer von seinem Leben erzählt, ist damit im Kontakt und vielleicht auch einverstanden. Wer nichts mehr erzählt, wer nichts mehr zu sagen weiß, verhungert in seiner Seele.

Erzählen ist wichtig. An einer Stelle in der Bibel, die uns nicht so geläufig ist, die aber für die Juden bis heute wie ein Bekenntnis ist, steht: Du sollst deinen Kindern, den Nachkommen erzählen von deiner eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte. Dann sollst du sagen: Ein wandernder Aramäer war mein Vater. Damit ist Abraham gemeint, der Urvater des Volkes Israel, der einmal ausgewandert ist und eine neue Heimat suchte. Diese Urgeschichte sollst du weitererzählen, weitertragen. Denn man muss wissen, woher man kommt, um zu wissen, wer man ist. Diese Erkenntnis gilt für das Volk Israel wie für jeden Menschen. Deshalb wünschen wir uns dieses Haus der Begegnung, wo Menschen sich erzählen und verstehen. Erzähl mir von dir, damit ich dich verstehe. Und ich will dir von mir erzählen, damit du verstehst, wer ich bin.