hr2 ZUSPRUCH
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Schoen, Dr. Ursula

Eine Sendung von

Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Schutz(t)räume – Von der Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit

Schutz(t)räume – Von der Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit

Auf einer Tour durch Schottland stellten wir unsere Zelte auf einer großen Wiese auf. Die ganze Nacht regnete es. Wir lagen behaglich und trocken in den Schlafsäcken. Am folgenden Morgen erzählte uns der Freund, mit dem wir unterwegs waren, dass er im Morgengrauen einen eindrucksvollen Stier gleich neben unserem Zelt gesehen habe. Der Stier schlürfte zufrieden das Regenwasser aus unseren Kochtöpfen, die wir draußen stehen gelassen hatten. Was passiert wäre, wenn der Stier die Richtung Zelt eingeschlagen hätte, wollten wir uns lieber nicht ausmalen.

Zu den erstaunlichen Erfahrungen des Alltags gehört es, dass ein Ort uns allein dadurch das Gefühl von Sicherheit gibt, dass er abgegrenzt ist: Durch die Zeltwand, die Hecke zum Nachbargarten oder die Wohnungstür wird eine Grenze markiert. Sie schafft einen persönlichen Schutzraum. – Doch im Grunde unseres Herzen wissen wir, wie trügerisch diese Sicherheit ist. Es muss nicht gleich ein Stier sein, der das Zelt überrennt. Auch bei Hagel oder Frost sind wir im Zelt nur schlecht geschützt. Die Hecke zum Nachbarn hält höchstens den Hund ab und die Tür eines Haus kann von einem versierten Einbrecher mühelos geöffnet werden.

Und trotzdem sind wir darauf angewiesen, dass es geschützte Räume gibt – auch im übertragenen Sinne: In der Partnerschaft und Familie. An einem sicheren Arbeitsplatz. Und dort, wo wir mit anderen zusammen leben: dem Verein, der Kirchengemeinde oder der Dorfgemeinschaft. Diese Schutzräume, so verletzlich sie auch sein mögen, setzten einen Kontrapunkt gegen Erfahrungen, die hilflos und ängstlich machen.

Als Studentin betrat ich während eines Seelsorgepraktikums einmal ein Krankenzimmer. Ein älterer Mann saß dort in Mantel und Hut. Er hatte gerade von den Ärzten die Diagnose „Krebs“ erfahren. Während er mir davon stockend berichtete, sprang er plötzlich auf und griff nach seinem Koffer: „Komm“, sagte er zu seiner Frau, „mir reicht das hier! Wir gehen nach Hause!“ Jedem war klar, dass die Rückkehr nach Hause die Diagnose nicht ändern würde. Aber das Zuhause erschien ihm als schützender Ort.

Die Bibel sieht Menschen als „Vertriebene“. Adam und Eva mussten das Paradies verlassen. „Paradies“, übersetzt heißt das: „eingezäunter Park“, „eingehegtes Gebiet”. Außerhalb des Paradieses waren die Menschen  mit den harten Wahrheiten des Lebens konfrontiert: mit Sorgen und Angst, schutzlos und bedroht. Das Paradies lebt im kollektiven Gedächtnis der Menschheit weiter, als Sehnsucht nach Orten, in denen wir uns sicher und unbedroht fühlen können.

Wo wir Schutzräume oder Zufluchtsorte für uns und andere schaffen - Also Orte, an denen wir uns verwurzeln und gemeinschaftliches Leben wächst - da leisten wir Widerstand gegen lebensbedrohende und -zerstörende Kräfte. Und letztlich drücken wir die biblischen Hoffnung aus, dass wir am Ende der Zeit in das schützende Zelt Gottes zurückzukehren.