Menschen an meiner Seite
Jenny sitzt vor mir am Küchentisch und umfasst mit beiden Händen den Becher Kaffee, den ich für sie gekocht habe. Anfang zwanzig ist sie, ihre Augen strahlen. „Ich bin ja so dankbar. Hätte ich vor zehn Jahren nicht gedacht, dass es mir mal so gut geht!“
Jenny war dreizehn Jahre alt, als ich sie kennengelernt habe. Im Konfirmandenunterricht. Das war vor vielen Jahren. Nachdenklich, hübsch, kooperativ und sozial eingestellt. Doch nach und nach hat sich bei ihr eine gewisse Traurigkeit eingestellt, manchmal habe ich sie im Gottesdienst weinen sehen. Ich habe sie hinterher in den Arm genommen und gefragt, was los ist. Die Folge war ein reger Austausch, mal per SMS, oft per Email und ab und zu ein kurzes Gespräch unter vier Augen. Das Erwachsenwerden war für Jenny nicht leicht. Die Eltern waren geschieden und hatten jeweils neue Partner und ganz eigene Baustellen. Da ist Jenny zu kurz gekommen. Ihre Mutter war überfordert, hat viel herumgeschrien, und manchmal ist ihr auch die Hand ausgerutscht. Das hat Jennys Vertrauen in ihre Mutter endgültig kaputt gemacht.
Sie vermisst bis heute die Liebe, die sie sich von einer Mutter wünscht. Später ist sie immer mehr von Zuhause geflohen, hat bei Freundinnen übernachtet, sich andere Ansprechpartner gesucht. Hinzugekommen sind Phasen von Magersucht und Selbstverletzung. Jenny hat sich nur noch gespürt, wenn sie sich mit einer Rasierklinge in die Arme oder Beine geritzt hat. Manchmal hatte sie auch Panikattacken und konnte nur schwer atmen. Bestimmt drei Jahre lang hat Jenny mit sich und der Welt hart gekämpft.
Inzwischen ist sie eine junge Frau, mit einem jungen Mann an ihrer Seite. Sie studiert Sozialpädagogik und besucht mich ab und zu. Manchmal passt sie auch auf meine kleine Tochter auf. Ich frage sie, was ihr in der schweren Zeit geholfen hat, was sie wieder auf die Beine gebracht hat. Sie sagt: „Ich hatte in manchen Situationen meines Lebens einen Tunnelblick und konnte mir nicht vorstellen, dass das Leben jemals wieder schön sein kann. Und ich habe mit Gott geschimpft, warum ich so bin, wie ich bin, und warum meine Situation so ist, wie sie ist.
Da habe ich andere Menschen gebraucht, die für mich die Hoffnung aufrecht gehalten haben, die Hoffnung in mich selbst und ins Leben: meine beste Freundin zum Beispiel, meine Therapeutin, die Leiterin einer Jugendgruppe und so weiter. Mir hat es letztlich immer gut getan, über meine Probleme zu reden. Manchmal habe ich nur jemand zum Zuhören gebraucht. Wenn ich mit diesen Menschen geredet habe, dann waren meine Probleme nicht mehr so groß. Sie schienen plötzlich erträglich und lösbar.“ Dann sagt sie noch: „Ich glaube ja, dass Gott diese Menschen an meine Seite gestellt hat.“