hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin und Professorin für Religionspädagogik, Würzburg

Im Krankenhaus: Bis hierher hat uns Gott gebracht

Im Krankenhaus: Bis hierher hat uns Gott gebracht

Der Dichter Robert Gernhardt lag im Krankenhaus; mit Gedichten hat er gegen sein Krebsleiden angeschrieben. Man hört es diesen Stücken an. Er ist dem Tod nahe. Er braucht Trost, so wie jeder Sterbenskranke. An einem Sonntagmorgen hört er eine Gottesdienstübertragung aus dem Haus. Es wird ein Lied eingespielt oder gesungen, das wissen wir nun nicht. Jedenfalls singt ein Chor das Kirchenlied: Bis hierher hat uns Gott gebracht. Es ist ein altes Lied, in dem Menschen ihre Dankbarkeit ausdrücken. Dieses Lied bringt ihn dazu, ein kleines Gedicht zu verfassen. Es trägt den Titel »Sonntagmorgenandacht«:

»Bis hierher hat uns Gott gebracht in seiner großen Güte« – vielleicht sollte mal jemand dem Chor im Haus-Sender stecken, dass er vor Krankenhausinsassen singt.

Gernhardts Gedicht trifft ins Mark einer selbstvergessenen kirchlichen Kultur und er mahnt zur Vorsicht. Besser nicht einfach denken, dass ein altes Lied allen das Herz wärmt. Es gibt kranke Menschen, die genau hinhören und sich dann einiges fragen. Ich glaube, ich könnte auch zu ihnen gehören. Ich würde es sicher auch als eine Zumutung empfinden, dass ich dankbar sein soll, weil Gott mich bis an diesen Ort gebracht hat. Sicher, so direkt ist das ja gar nicht gemeint gewesen. Aber wenn man sich einmal dem stellt, wie man die Liedzeile „Bis hierher hat uns Gott gebracht in seiner großen Güte“ auch hören kann, dann ist doch klar, dass hier etwas nicht stimmt. Man kann Menschen nicht einfach per Lied empfehlen, dass sie Gott dankbar sind.

Dabei steckt in Gernhardts Kritik noch viel Glaube. Ein Glaube, der auf dem Trotz aufbaut. Es ist der Trotz, der an einer Überzeugung festhält. Sie lautet: Es ist doch gar nicht ausgemacht, dass Gott mir diese Krankheit geschickt hat. Sozusagen als Prüfung. Wer weiß das denn? Ich stimme nicht ein. Ich bete nicht mit, wenn es heißt: „Danke für alles, was du mir schenkst, wie übel Du mich dabei auch zurichtest.“ Das wäre ein Glaube, der falsche Demut fördert, eine Religion, die Menschen stumm macht, die ihnen ihren Willen, ihren Lebenswillen nimmt. Robert Gernhardt hilft dabei, genau diese Perspektive wach zu halten. Er lässt sich weder von seiner Krankheit noch vom Glauben korrumpieren.

Seine Kritik trifft so, dass man unwillkürlich lachen muss. Peinlich berührt darüber, was er aufgedeckt hat: diese naive Art des Zuspruchs, in der man es doch so gut meinte. „Auch im Krankenhaus ist Gott da.“ Das mag ja stimmen. Aber es stellt sich doch die Frage: „Wie?“ Eine gute, eine erschöpfende Antwort ist nicht leicht zu geben. Nur eins ist mir jedenfalls klar und wichtig: In der Krankheit und auch im Sterben gibt es Trost, wenn man spürt, dass man nicht einsam ist. Schon manchen Menschen ist in harter Krankheit kurz vor dem Tod der Glaube sogar abhanden gekommen. Da ist es gut, wenn jemand da ist und da bleibt. Damit man die Schritte, die jeder von uns irgendwann machen muss, möglichst selbstständig und möglichst schmerzfrei und möglichst zuversichtlich machen kann. „Ich bin da“, das war übrigens der Name, mit dem sich Gott Mose vorgestellt hat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.