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Eine Sendung von

Pastorin im Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden, Marburg

Heute zahle ich den Kaffee!

Heute zahle ich den Kaffee!

Mit einer neuen Bekannten traf ich mich in ihrem Lieblingscafé. Wir sprachen lange miteinander. Ich fühlte mich beschenkt von unserem Austausch. Ich muss sie ziemlich verdutzt angeschaut haben, als sie ganz selbstverständlich zahlte, für uns beide. Ich sprach sie darauf an, ob nicht einfach jede ihre eigene Rechnung bezahlen solle. Da erzählte sie mir von ihrem Indienaufenthalt und von der Gastfreundschaft, die sie dort erfahren hatte.  Seit sie von dieser Reise zurückgekehrt ist, möchte sie großzügig sein. Sie lachte und sagte: „Ich mache keine schlechten Erfahrungen damit. Das Geld reicht irgendwie trotzdem - oder vielleicht auch deswegen...“

Die Autorin Ina Praetorius hat ein schönes Bild für Geben und Nehmen gefunden: Den Fluss. (in: Handeln aus der Fülle, S.93-99) Ein Fluss wird genährt durch eine Quelle, aber auch durch Bäche und Regen. Der Fluss gibt Wasser ab, tränkt das Land, und auch die Luft nimmt durch Verdunstung Wasser auf. So zeigt der Fluss, wie sich Wasser bewegt und lebendig ist.

Wie in einem Fluss kommt Gutes von einem Menschen zum anderen. In diesem Fließen verbinden sich Menschen miteinander. Für jeden Menschen gibt es eine individuelle Quelle. Denn jedes Leben begann damit, dass eine Mutter gastfreundlich zu ihrem ungeborenen Kind war: ein Kind wird vor seiner Geburt monatelang im Mutterleib geborgen und genährt. Auch nach der Geburt ist ein Mensch darauf angewiesen, dass sich andere um ihn kümmern, und wenn ein Mensch erwachsen geworden ist, ist er genährt und versorgt worden.

An diese Fülle vom Anfang können wir immer wieder anknüpfen. Betrachte ich Schenken und Freundlichsein wie einen Fluss, sind das keine Pflichten. Es ist mehr eine Bewegung, die schon längst angelegt ist. So wie Jesus gesagt hat:  „Wie mich mein Vater geliebt hat, so habe ich auch euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ (Johannes 15,9) Das klingt nicht wie ein Gebot, sondern wie die Erinnerung, in diesem Fluss der Liebe zu bleiben. Ich kann ruhig annehmen, was ich von anderen bekomme. Und genauso kann ich etwas von mir weitergeben.

Im materiellen Bereich kann es bedeuten, dass ich die Dinge weiter schenke, die ich nicht mehr brauche, die aber andere noch gut gebrauchen könnten. Manche meiner Freundinnen tauschen und verschenken ihre Kleidung.  Und jetzt habe auch ich mir mal meinen Kleiderschrank vorgenommen. Die Jeans, in die ich wohl nicht mehr reinpassen werde, steht meiner Freundin ausgezeichnet. Warum sollte sie länger in meinem Schrank liegen? Es freut mich, dass sie jetzt wieder getragen wird.

Andererseits habe ich mal erfahren, wie gut mir tat, als mir eine Freundin in einer schwierigen Situation vor Jahren angeboten hat, mir Geld zu leihen. Sie und ihr Mann hatten einiges zurückgelegt. Diesen Sinn hat übrigens die Kollekte im Gottesdienst: Es ist eine Übung, etwas weiterzugeben.

Sei es ein Kaffee, ein Lächeln, ein Blick oder ein freundliches Wort, ich habe viel, das ich weiter schenken könnte. Natürlich werde ich immer Menschen finden, die mehr zu haben scheinen. Aber mir gefällt die andere Blickrichtung. Ich freue mich zu sehen, wo ich selbst gut versorgt bin. Und ich merke, wie in mir der Wunsch wächst, etwas abzugeben und zu teilen. Weil ich weiß, dass es mir nicht fehlen wird. Ich habe Lust, zu sehen, wie es weiter fließt. Ich habe Lust, selbst ein Teil des Flusses zu sein.