hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin und Professorin für Religionspädagogik, Würzburg

Grabsteine der neuen Art

Grabsteine der neuen Art

Ich stelle mir vor, ich bin auf dem Friedhof. Es ist in zwanzig Jahren. Im Jahr 2032. Noch immer hört man die Vögel hier besonders gut. Noch immer ist der Friedhof ein Friedhof, Ort, wo man Abschied nimmt, wo man trauert. Aber eins, das hat sich seit 2012 geändert. Es fällt erst gar nicht auf. Erst auf dem zweiten Blick sehe ich es. Die Grabsteine sind anders. Keine Namen mehr, keine Geburts- und Todesdaten mehr. Stattdessen findet sich schlicht und ergreifend auf dem Stein ein Code. Auf den Steinen sind QR-Codes eingemeißelt. Manchmal sehen die codierten Flächen aus wie ein Kreuz, manchmal auch nur wie ein Quadrat, Kreis oder ein Dreieck. QR, das steht für Quick Response. Und ich kann mein Smartphone nehmen, aktiviere die Kamera und dann wird mir schon der Zugang eröffnet. Der Zugang zu einer Website, die mir erzählt, an wen der Grabstein erinnert, wer da begraben liegt. Auf der Website ist ein Bild von dem Grab, vor dem ich gerade stehe. Der Name ist genannt und es sind Bilder von der Person, die verstorben ist, zu sehen. Manchmal auch Video-Sequenzen, die zeigen dann besonders lebendig, wie jemand war.

Was ich erzähle, liegt zwar in der Zukunft, aber die Zukunft hat schon begonnen. Denn genau diese Art von Grabsteinen sind bereits auf dem Markt. Der Kölner Steinmetz Andreas Rosenkranz hat sie entwickelt. Noch kann man sie einzeln zählen, aber ich bin sicher: das Konzept wird sich durchsetzen. Denn es entspricht einer durch und durch von Medien geprägten Gesellschaft, dass sie auch beim Bestatten ihrer Toten Medien nutzt.

Recht betrachtet, ist das auch nichts Neues. Wenn man an Trauerbriefe, an Trauerreden, an das Aufkommen der Fotografie denkt, die dann auch dazu genutzt wurde, Totenporträts zu machen. Heute stehen vor vielen Särgen Photos der Verstorbenen. Und auch die Musik, die zum Abschied gespielt wird, ist ja schließlich ein Medium. Insofern ist die Erinnerungs- oder Trauerseite für Verstorbene im Internet nichts völlig Neues. Aber trotzdem hat sich etwas verändert.

Aus meiner Sicht ist es das, dass das Leben der Toten nicht mehr so weit weg ist wie früher. Es liegt sozusagen ein Klick entfernt. Dann kann ich in einen Erinnerungsraum eintauchen, der zu diesem Menschen gehört, der hier begraben liegt. Manche werden diese Webseiten für Verstorbene skurril finden, andere geschmacklos, wieder andere überflüssig. Solche Reaktionen verstehe ich gut. In unserem Kulturkreis ist der Friedhof ein Ort, der außen vor ist, der eine Mauer und ein Tor hat, manchmal außen vor der Stadt liegt. Der Name Friedhof erinnert daran. Es ist ein Ort, der ein-gefriedet ist, eine Grenze hat. Schließlich ist hier der Tod zuhause und schließlich hat der Tod doch etwas Erschreckendes, etwas, was herausreißt, etwas, was einsam macht; auf dem Friedhof geht ein Riss durch den Alltag.

Ich bin noch nicht fertig mit dieser neuen Welt der digitalisierten Grabsteine. Aber was ich bei allem Unbehagen gut finde, ist das: Das Internet schafft neue Räume, in denen Menschen von ihren Verlusten erzählen können. Ich finde, es tut gut, wenn man Trauer zeigen kann. Es ist höchste Zeit, dass wir sie mehr zeigen.