hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

Gotteslästerung

Gotteslästerung

Es war ein Paukenschlag und eine Kampfansage an den säkularen Staat. Der Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach, nicht irgendwer, sondern Büchner-Preisträger des Jahres 2007, erhob in der „Frankfurter Rundschau“, die Forderung, es möge doch bitte sehr der Tatbestand der Gotteslästerung wieder ins Strafgesetzbuch eingeführt werden, den wir seit 1969 los sind. Meine erste Reaktion: Du liebe Zeit, denkt der aber klein vom Höchsten. Gott ist doch kein Potentat, dem über irdische Gerichte Genugtuung verschafft werden müsste. Mein Gott ist größer, steht über den Strafgesetzbüchern aller Welt und kann sich auch nicht von Staatsanwälten als „beleidigt“ definieren lassen.

Mein Verdacht: Im Namen der Religion wird Gott hier instrumentalisiert. Mit einem erneuerten Gotteslästerungsparagraphen würde nicht Gott unter Schutz, sondern missliebiges Denken unter Strafe gestellt. Wer definiert denn, was Gott beleidigt? Er, der die Herzen der Menschen ansieht, richtet auf seine Weise. Wir müssen ihm da keine Vorgaben machen. Und ganz ohne den Schutz des Strafrechts sind die Gläubigen, sind die Religionsgemeinschaften ja nicht. Wer sie beschimpft und dadurch nachhaltig den öffentlichen Frieden stört, der kann wegen Störung des öffentlichen Friedens angeklagt und verurteilt werden. Das hohe Gut der Meinungsfreiheit sorgte bis jetzt dafür, dass solche Verurteilungen selten sind. Gleichwohl: es gibt sie.

Formaler Auslöser von Mosebachs Vorstoß waren die Turbulenzen um ein geschmackloses Mohammed-Video, das die gewaltbereiten Teile der islamischen Welt in Aufruhr versetzte, wie ja auch vorher schon die dänischen Karikaturen. Doch die Gewaltbereitschaft der islamistischen Gotteskrieger kann auch schon eine unverschleierte Frau auslösen. Wie weit wollen wir da gehen in der Opferung unserer Grundrechte? Auffällig ist, dass bei dem ganzen Wirbel nicht einmal  die Gestalt des Mannes in den Blick trat, dem wir zu verdanken haben, dass die Gotteslästerung aus dem Strafgesetzbuch verschwand.

Dieser Mann war nämlich alles andere als ein gottloser Freigeist, sondern ein überzeugter protestantischer Christ. Er war nicht nur Politiker, sondern bekleidete auch hohe kirchliche Ehrenämter. Sein Name: Gustav Heinemann. Heinemann, der dritte Bundespräsident der Bonner Republik, war drei Jahre lang, von 1966 bis 1969, Justizminister einer großen Koalition. In diesen drei Jahren hat er das aus dem 19. Jahrhundert stammende Strafgesetzbuch nachhaltig modernisiert, und zwar gerade in den Bereichen, die die Lebensführung und das Gewissen des Einzelnen betrafen.

Es ist Heinemann zu verdanken, dass Schwule nicht mehr mit Gefängnis bestraft werden. Dass Ehebruch nicht länger ein Straftatbestand ist, mit dem sich prima erpressen lässt. Dass uneheliche Kinder heute den ehelichen weitgehend gleichgestellt und damit erbberechtigt sind. Eine Frage der Gerechtigkeit, die eine am Besitzbürgertum orientierte, patriarchale Justiz über Jahrhunderte auf Kosten der Kinder und ihrer Mütter ausgeblendet hat. Ja, und auch das Verschwinden des Zensurknüppels Gotteslästerung ist ihm zu verdanken. Als Jurist nahm Heinemann den säkularen Staat und die Grundrechte ernst. Er lebte für die Demokratie. Als Christ wusste er sich theologisch auf sicherem Grund. Es wird Zeit, sich dieses Mannes zu erinnern.