hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

Die Distanzierten

Die Distanzierten

Gehören Sie am Ende auch dazu? Zu den Distanzierten, die zwar treu ihre Kirchensteuer zahlen, sich aber allenfalls zu Weihnachten in der Kirche sehen lassen? Es würde mich nicht wundern, denn die Distanzierten sind die Mehrheit zumindest in meiner evangelischen Kirche, aber ich fürchte bei den Katholiken sieht es allmählich nicht viel besser aus. Als distanziertes Kirchenmitglied haben Sie zur Gemeinde vor Ort kein Verhältnis. Sie wissen nicht, wer dazu gehört, haben aber den Verdacht, dass es sich um Menschen handelt, die Sie nicht interessieren würden.

Nach dem Namen des Pfarrers erkundigen Sie sich erst, wenn eine sogenannte Kasualie ansteht:  Eine Hochzeit, eine Taufe, vor allem aber eine Beerdigung, denn nie würden Sie ohne kirchlichen Segen unter die Erde kommen wollen. Ein Kirchenaustritt kommt für Sie nicht infrage. Sie sind in diese Kirche hineingeboren, verbinden manche Kindheits- und Jugenderinnerung damit und möchten sich von diesen Wurzeln nicht abtrennen lassen. Nur: jeden Sonntag in die Kirche zu gehen – das empfinden Sie als unvereinbar mit Ihrer Gestaltungsfreiheit, und außerdem sind Sie der Meinung, sich durchaus auch ihre eigenen Gedanken zu Gott machen zu können.

Wenn Sie sich in dieser Beschreibung wiedererkennen, müssen Sie wahrlich kein schlechtes Gewissen haben. Die treuen Distanzierten, die Christen in Halb-Distanz sind der Garant der noch funktionierenden ökonomischen Stabilität der Kirche. Wenn es also in einer Studie heißt: „Die Distanzierten sind der Schatz der Kirche“, dann ist das nicht ohne Hintersinn. Die Distanzierten zahlen nicht nur Kirchensteuer. Sie spenden auch für Diakonie oder Caritas, für Brot für die Welt oder Misereor, für Bethel oder die kirchliche Arbeitslosenhilfe. Sie geben auch gern was für die neue Orgel, denn die Kirchenmusik ist das, was ihnen unter den Angeboten der Gemeinde noch am besten gefällt.

Der Satz mit dem Schatz war allerdings anders gemeint. Die Distanzierten sind nämlich auch theologisch für die Kirche wichtig. Sie sind der Pfahl im Fleisch der Gemeinde, die ihre Abwesenheit als Kränkung und Herausforderung zugleich erlebt. Weil es sie gibt, muss die Kirche neue Angebote machen und sprachfähiger werden. Die treuen Distanzierten lassen nicht zu, dass zur christlichen Gemeinde nur die sogenannten Frommen gehören; jedenfalls nicht im Protestantismus, der im 18. Jahrhundert zur Aufklärung Ja gesagt hatte und immer schon damit leben musste, dass der Gottesdienstbesuch vor allem in den Großstädten niedrig war .

Denn was heißt fromm? Luther hat das gern mit dem lateinischen Wort „justus“ übersetzt. Fromm sein hieß für ihn „gerecht sein“, gerecht vor Gott und den Menschen. Gemeint ist damit eine Lebensführung, die man heute vielleicht als rechtschaffen übersetzen würde. Und wer würde behaupten, dass es unter den Distanzierten keine rechtschaffenen Leute gäbe! Dass sie weiterhin zur Kirche gehören wollen, signalisiert auch bei diesen Randsiedlern ein grundsätzliches Ja zu Gott. Wo sie IHM dann begegnen, das ist eine andere Frage.