hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin und Professorin für Religionspädagogik, Würzburg

Cybermobbing in der Schule oder vom Umgang mit Scham

Cybermobbing in der Schule oder vom Umgang mit Scham

Immer häufiger wird davon berichtet, dass Kinder und Jugendliche in der Schule gemobbt werden. Das sieht im Einzelfall sehr verschieden aus. Gemeinsam ist allen aber die Schnelligkeit, mit der Nachrichten und Bilder heute verbreitet werden können. Und manchmal hat das hoch belastende Wirkungen. Trotzdem: Auch wenn das so genannte Cybermobbing ein neues Phänomen ist, was im Kern dabei geschieht, ist in vielen Fällen altbekannt. Es geht um Scham und darum, sich ihr zu stellen.

Da ist zum Beispiel Klara, ihr Handy wird geklaut und die Photos, die sie vor Urzeiten mit Freundinnen gemacht hat, werden jetzt in einem digitalen Schülernetzwerk gezeigt. Man sieht, wie sie in schwarzer Unterwäsche posiert. Es sieht schon ein bisschen anzüglich aus, aber eigentlich ist nichts furchtbar Schlimmes passiert. Doch Klara fühlt sich entblößt, ertappt bei ihren ersten Schritten, ihre eigene Sexualität zu entdecken. Sie schämt sich. Sie sieht sich mit den Blicken der Mitschüler. Und dabei verliert sie den Blick für sich selbst. Wenn man sich schämt, dann übernimmt man den Blick der Anderen auf sich selbst, der Blick der so genannten Schamzeugen. Das sind die Leute, die den Normverstoß bemerken. Die online-Community produziert enorm schnell eine große Menge von Schamzeugen.

Vielleicht überrascht es, wenn ich sage, dass es zu den wesentlichen Aufgaben der Seelsorge gehört, Menschen darin zu unterstützen, ihre Scham anzunehmen und mit ihr sinnvoll umzugehen. Scham ist ein wichtiges Gefühl. Es verhilft dazu, die eigene Person reifen zu lassen.

In der biblischen Geschichte vom Sündenfall wird erzählt, wie die Scham in die Welt gekommen ist. Adam und Eva entdecken, dass sie nackt sind. Gott gibt Adam und Eva Kleidung, damit sie ihre Blöße bedecken können. Man kann sagen: Es wird davon erzählt, wie Gott die Menschen davor schützt, sich bloß zu stellen oder bloß gestellt zu werden. Gerade diesen Schutz haben auch Jugendliche nötig.. Denn sie müssen mit sich selbst experimentieren und gehen dabei fast notwendig über Grenzen hinaus. Aber nur wer weiß, wie es sich anfühlt, sich zu schämen, wächst und reift in seiner Persönlichkeit. Dabei ist dieser Prozess der Reife manchmal gefährlich und auch gefährdet. Seelsorgerliche Begleitung heißt dann, jemandem symbolisch Kleidung umzulegen und sie vor neuer Beschämung zu schützen. Das kann zum Beispiel im Gespräch geschehen. Im Falle von Klara: dass man sie darin unterstützt, den eigenen Blick auf sich zu stabilisieren, die fremden Blicke müssen entmachtet werden. Das kann aber auch mit Hilfe von neuen, anderen Photos geschehen, die Klara nun selbst ins Netz stellt. Diese neuen Photos helfen ebenfalls, den peinlichen Eindruck Stück für Stück zu relativieren.

Letztendlich zeigt sich, dass das, was beschämt, einen Menschen nicht zerstören muss. Im Gegenteil, wer seine Scham annimmt, kann umso stärker darin werden, zu sich selbst zu stehen. Wird man sich über diesen Zusammenhang klarer, verliert auch Cybermobbing seinen Schrecken.