„Axis Tanztheater“
Ich war auf meiner Reise in Kalifornien im letzten Herbst in einer ganz besonderen Ballettaufführung. Tänzer und Tänzerinnen mit und ohne Rollstuhl haben auf der Bühne vom Theater in Oakland miteinander getanzt. Sie kamen vom „Axis Tanztheater“. So was hatte ich noch nie gesehen und war begeistert. Graziös und kraftvoll traten die Frauen und Männer auf. Die Rollstuhlfahrer balancierten nur auf der Kante von einem Rad. Sie wurden von den anderen in atemberaubender Geschwindigkeit gedreht und beschleunigt, verharrten in Schräglage und wurden durch die Luft getragen. Die Rollies und ihre Fahrer schienen federleicht zu schweben und zeigten all das, was man normalerweise nicht mit Rollstühlen verbindet: Leichtigkeit, Kraft und professionellen Sport.
Das Beste an dem Abend war für mich aber nicht, wie schwerelos sie tanzten, sondern wie sie miteinander tanzten. Es war wie ein intensives Gespräch zwischen ihnen, eine Begegnung mit allen Sinnen, die mich fasziniert hat. Ihr Respekt voreinander und ihre Nähe zueinander waren spürbar. Sie zeigten, dass ein Leben möglich ist, in dem ganz verschieden begabte Menschen miteinander leben und arbeiten können. Es war, wie es in einem Vers der Bibel heißt: „Es ist noch nicht entschieden, was wir sein werden.“ (1. Joh. 3, 2)
Das sah ich vor mir: Menschen, die in der Gegenwart konzentriert miteinander tanzten. Und es war in diesem Augenblick ganz egal, was mit den Einzelnen in Zukunft sein wird – mit oder ohne Behinderung, mit oder ohne Rollstuhl. Als Lebenshaltung übersetze ich mir: Es ist völlig unangemessen, Menschen in Schubladen zu stecken und sie in „schwarz – weiß“, „gut – böse“, „behindert – nicht behindert“ einzuteilen, um ihr Leben damit zu kontrollieren und zu wissen, was gut für sie ist. Was sagen solche Etikettierungen darüber aus, wer sie sind und was sie sein werden? Denn „es ist noch nicht entschieden, was wir sein werden.“
In biblischen Geschichten wird das Potenzial der Menschen gesehen, noch bevor es sich entfaltet hat. Unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Behinderung werden sie anerkannt, und es wird ihnen etwas zugetraut. Klar, dass Menschen dadurch selbstbewusster werden und sich viel mehr am Leben freuen.
So habe ich die Tänzerinnen und Tänzer vom „Axis Tanztheater“ erlebt: Sie respektieren sich und überwinden damit Barrieren und Vorurteile. Mit einem Teil der Einnahmen aus den Shows finanzieren sie Projekte und Arbeit für Menschen mit Behinderungen. Sie leben Integration vor und zeigen in ihren Tanzshows, welche wunderbaren Dinge Menschen miteinander erreichen können. Ich ziehe meinen Hut vor ihrem Engagement, und es ermutigt mich. Denn es ist noch nicht entschieden, was wir sein werden.