Zedernholz und Zwetschgen
Jetzt ist die Zwetschgenzeit fast wieder vorbei. Es hat viele gegeben dieses Jahr. Die Zweige hingen so voll, das die Last für einen alten Baum zu groß wurde. Ein großer Ast brach heraus. Doch auch da ließen sich noch Früchte pflücken. Ein Tag später zog ein Duft von frischem Hefeteig durch die Wohnung, dann gab es Zwetschgenkuchen mit Hagelzucker bestreut. Ich weiß, dass die Konditorei raffinierteres zubereiten kann, aber ob das wirklich so einen Zwetschenkuchen übertrifft, zu dem es möglicherweise noch Schlagsahne gibt - ich weiß es nicht.
So geht es scheinbar nicht nur mir, so ist es auch dem Propheten Jesaja gegangen: Nicht mehr lange, sagt er, da wird der Hochwald des Libanon wie ein Obstgarten sein (Jesaja 29,17). Der Hochwald des Libanon, das waren zu Jesajas Zeiten Eichen, Zypressen und vor allem die Libanonzeder. Der Baum ist eine majestätische Erscheinung. Vierzig bis fünfzig Meter hoch, mit breit ausladender Krone. Manche Exemplare werden über tausend Jahre alt. Warum will Jesaja einen solchen Hochwald mit solchen Bäumen in einen Obstgarten verwandelt sehen?
Ich nehme an, das liegt daran, dass schon zu seiner Zeit, vor mehr als 2.700 Jahren, der Libanonzeder ihre königlichen Eigenschaften zum Schicksal wurden. Pharaonen und Großkönige des Vorderen Orients ließen die Bäume fällen. Aus den Stämmen wurden Säulen für ihre Paläste und Vertäfelungen für die Säle. Denn das Holz der Libanonzeder ist zwar fest, doch leicht zu bearbeiten. Es ist dauerhaft, schädlingsresistent und wasserbeständig. Ein ideales Holz für jeden Baumeister und Schiffbauer. Deshalb ist der Fürst der Bäume ein Opfer der Könige der Menschen geworden: Ein Baum der reichen Leute.
Obstholz taugt für solche Zwecke nicht. Zwetschenholz ist meist verdreht, astig, schlecht zu bearbeiten und wenig dauerhaft, man kann nur kleine Zierstücke daraus machen. Es ist und bleibt ein Baum, der Menschen Früchte bringt und Freude macht. Wenn einer verkündet, dass Zedern-Hochwald zu einem Obstgarten wird, dann entsteht ein Land für andere Leute. Der Hochwald mit den Zedern war ein Wald für die Könige geworden. Eine Zwetschgenplantage ist ein Garten für die armen Leute. Der Prophet fügt an: Die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein. Eine Verwandlung der Natur und eine Verwandlung der Menschen. „Fröhlich sein“ ist doch ein noch viel zu schwaches Wort. Es muss noch mitgedacht werden, was im fröhlich sein alles geschieht: erwarten, sehen, hören, riechen, schmecken, das Gesicht öffnen, endlich genießen.
Eine Hoffnung gibt Jesaja mit, die groß ist: Die Welt, kann anders werden, sie kann endlich für alle nach Zwetschgenkuchen mit Schlagsahne schmecken.