Warum vergeht die Zeit immer schneller, je älter man wird?
Heute fängt die Schule wieder an. Für viele ist damit der Sommer, sind zumindest die Sommerferien vorbei. Als Kind und Jugendlicher konnte ich es immer nicht fassen: Sechs Wochen Sommerferien vergehen wie nichts. Eine Schulwoche dagegen kann sich ziehen wie eine halbe Ewigkeit. Was habe ich manchmal in der Schulstunde eines ungeliebten Faches den Zeiger der Uhr mit flehentlichen Blicken beschworen, er möge sich schneller bewegen! Vergeblich – er schien sich nur von Ewigkeit zu Ewigkeit zu bequemen, wenigstens eine Minute weiterzuspringen.
Nun, das hat sich verändert. Je älter ich werde, desto schneller scheinen Stunden, Tage, Wochen, ganze Jahre nur so dahinzufliegen. Ein kleiner Trost ist, dass das offenbar nicht nur mir so geht. Warum vergeht die Zeit immer schneller, je älter man wird? Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen darüber, wie sich das Zeitgefühl mit dem Älterwerden verändert. Zwei Altersgruppen, die eine zwischen 35 und 50, die andere durchschnittlich 70 Jahre alt, wurden gebeten, bestimmte einschneidende Ereignisse, an die sich viele erinnern können, zu datieren: In welchem Jahr und Monat war der Reaktorunfall von Tschernobyl? Wann war die letzte große Sonnenfinsternis in Europa zu sehen? In welchem Jahr verunglückte Prinzessin Diana?
Das Ergebnis zeigte signifikante Unterschiede in der Zeiteinschätzung: Die Personen mittleren Alters hielten die Ereignisse häufig für viel jünger und waren dann überrascht: Was, das ist schon so lange her?! Die Älteren meinten oft, die Geschehnisse lägen viel weiter zurück. Ihre innere Uhr lässt die Zeit schneller verstreichen. Deshalb sind für sie gefühlt viel mehr Jahre vergangen als tatsächlich. So interpretieren es die Zeitforscher, die dieses Experiment unternommen haben.
Zeit ist wie ein Fluss. Als junger Mensch läuft man mit Leichtigkeit schneller, als der Fluss fließt. Die Zeit scheint langsamer zu vergehen. Zwischen dem 13. und dem 18. Lebensjahr zum Beispiel liegen Welten. Im mittleren Alter läuft man mit der Flussgeschwindigkeit auf gleicher Höhe. Je älter man wird, desto langsamer wird man, desto schneller strömt der Fluss an einem vorbei.
Was hilft mir das, um nicht verzweifelt, sondern zufrieden mit der Zeit zu gehen, ob sie nun schneller oder langsamer vergeht? „Tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist“, heißt es von Gott in einem Psalm (Psalm 90, 4). Der Kirchenvater Augustin hat dieses Wort so gedeutet: Bei Gott ist Zeit kein Nacheinander, das vergeht. Bei Gott ist ewige Gleichzeitigkeit. Ich verstehe das so: Jeder Augenblick ist bei Gott ewig, keine Sekunde geht bei ihm verloren. Gestern, heute, morgen werden nicht einfach ins Nichts weggespült. Jeder Zeitpunkt meines Lebens ist in Gott gegründet und bleibt damit bedeutend. Gott ist das ewige Heute aller menschlichen Tage. Mag sein, dass die Zeit immer schneller vergeht, je älter ich werde. Aber jede einzelne Stunde, jeder Augenblick bleibt einzigartig und ist es damit wert, ausgekostet und gelebt zu werden.