Tag der deutschen Einheit
Tag der deutschen Einheit: Vor 22 Jahren öffneten sich Tore, Menschen durften frei von hier nach dort ziehen. Ich will Ihnen gleich noch mehr von einem der DDRGrenztore erzählen, vorher möchte ich aber an etwas erinnern. Das Tor der Stadt war ein bedeutsamer Ort. Nicht nur, dass hier Menschen ein- und auszogen, hier fanden auch alle Rechtsgeschäfte statt. Kaufen wir ein Grundstück, müssen wir zum Notar. Im alten Israel rief man die Ältesten und Zeugen zusammen, ging in das Tor und verhandelte bis ein Acker übergeben war. Im Tor geschah Recht.
Das war mit den DDR-Grenztoren anders. Eines stand nicht weit von meinem Elternhaus. Eine schmale Straße lief durch Felder und Wiesen auf einen Streifen zu, der Teil der Grenzanlagen war. Dahinter setzte sich die Straße in ein Dorf fort. Ich glaubte damals nicht, dass ich es jemals erreichen würde. Denn durch das Tor durfte nie irgendjemand. Es war kein Durchgangs-Tor, sondern ein Tor, das den freien Weg versperrte. Also war es ein Tor, in dem nicht Recht geschah. Weil niemand seiner Wege gehen durfte war es ein Tor, durch das Menschen Unrecht geschah. Dieses Unrecht wurde mit aller Macht bewacht. Ich glaube auch, dass das der tiefste Grund ist, warum das Tor heute nicht mehr da ist und wir heute den 3. Oktober als einen Feiertag haben. Ein Land, in dem im Tor kein Recht geschieht, kann keinen Bestand haben. Die Unfreiheit macht den Anspruch auf Freiheit größer. Am Ende reißt sie alle Zäune nieder. Im Elend des Machtlosen steckt die Kraft, die Welt zu verändern. Das ist das Geheimnis.
Wenn ich heute an den Ort des Tores komme, muss ich schon suchen, um die Stelle zu finden. Unten der Fluss, ein Acker, Hecken, rechts dann der Hang, da muss es ungefähr gewesen sein. „Todesstreifen“ nannte man das früher. Jetzt ist es eine Ökonische. Der Zaun ist abgeschraubt. Einmal habe ich ein Stück davon in einem Garten wiedergefunden. Der Gartenbesitzer hatte die verzinkten Stahlmatten genommen und eine Begrenzung daraus gebaut. Klar, ist ja kein Vergang daran und belüftet wird der Kompost auch. Ein Todesstreife wurde zur Ökonische, ein Grenzzaun zu Komposthaufen. Das ist jetzt 22 Jahre her. Heute ist dritter 3. Oktober. Für mich ein Feiertag der Hoffnung auf das Recht.