hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Alt-Wildungen

Puzzle

Puzzle

In der Wohnung meiner Großeltern lagen die Puzzle oben auf einem Schrank. Wenn ihnen die Zeit mit uns zu lang wurde, holte die Großmutter eines von Ihnen herunter. Gemeinsam gingen wir auf die Veranda. Dort wurde dann am Tisch gepuzzelt. 250 Teile aus den großen Bilderbüchern von Ali Mitgutsch zum Beispiel. Mit Vergnügen suchte ich das Teil heraus, wo man den Jungen sieht, der pieselt. Klar habe ich das zuerst gefunden. Dann suchte ich ein braunes Teil, auf dem der Baum sein musste, vor dem der Junge steht. Dummerweise fand es sich nicht. Mein Eifer für das Puzzle begann zu erlahmen. Großmutter dagegen ging die Sache systematisch an: Ins Auge springende Motive interessierten sie nicht. Sie bildete eine Gruppe Randteile hier, dann jede Menge rote Teile, auf denen Ziegeln waren und grüne für Wiesen und Laub. Beiläufig schob sie dem Enkel eine Gruppe Teile zu, auf denen lauter braune Baumstämme waren. Nun war es nicht mehr schwer. Der Baum war gefunden und der Junge füllte eine Lücke im Puzzle. Großmutter hatte noch ein Stück Dorfteich zur Hand, setzte das Teil an und sagte: „Das gehört hier hin“ und klopfte mit dem Zeigefinger darauf.

Seitdem holt mich ab und zu die Lust am Puzzeln ein. Ich denke: der Verstand macht manchmal auch nichts anderes. Aus den vielen Eindrücken macht er sich ein Bild. Er hofft, dass es ein Bild gibt. Und wenn er meint, es passt und er hat etwas zusammengesteckt, von dem er nicht ahnte, dass es zusammengehört, stellt sich auch ein Lustgefühl ein und klopft noch ein bisschen auf dem gelungenen Gedanken herum. Beim Puzzeln mit Großmutter stand immer das große Ziel vor Augen: 250 Teile an einem Nachmittag, die Landszenerie von Mitgutsch ist fertig - Junge samt Dorfteich, Häuser, Kirche und allem was dazugehört.

Der Verstand des Erwachsenen wird damit leben müssen, dass es Erfahrungen gibt, für die es keinen Anschluss gibt. Immer wieder nimmt man sie auf dreht und wendet und sie und legt sie wieder zur Seite. Ich wünschte, es wäre so, dass sich alles im Rahmen einer wohlgeordneten Welt abspielt. Aber es ist nicht so. Es gibt Dinge, die wollen sich nicht einordnen. Für mich ist es ein Trost, dass ich es auch nicht muss. Irgendwann kann ich mich eben doch vor dem Durcheinanderpuzzle zurücklehnen - und ein anderer sagt: „Lass es gut sein.“