hr2 ZUSPRUCH
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von Winterfeld, Charlotte

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Niemand ist perfekt

Niemand ist perfekt

Perfekt sein ist anstrengend. Das merken nicht nur die Sportler jeden Tag an ihrer Tagesform. Kein Gramm zuviel essen, genau nach Plan trainieren. Aber auch Otto Normalverbraucher wie ich streben oft nach Perfektion. Auf Fehler und Schwächen werde ich nicht gern angesprochen. Nicht darauf, dass ich oft ungeduldig bin oder manchmal dünnhäutig, auch nicht darauf, dass ich zu schnell esse. Lieber höre ich ein Lob über meine Zuverlässigkeit oder meine Gastlichkeit. Wenn man sich selbst am liebsten ohne Makel sieht, ist das Leben wirklich anstrengend.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Film „Good Will Hunting“, fast schon ein Klassiker aus dem Jahr 1997. Matt Damon spielt einen jungen Mann namens Will. Er trinkt viel, knackt Autos und zettelt Prügeleien an. Sein Geld verdient er als Hausmeister an einem College, wo er die Flure wischt. Dort stehen an einer Tafel manchmal komplizierte mathematische Aufgaben. Die löst er mühelos. So entdeckt ein Mathematik-Professor das unerkannte Genie in Will. Der Professor erreicht, dass Will eine Therapie macht.

Gleichzeitig verliebt sich Will in eine hübsche Studentin. Sie ist perfekt in seinen Augen. Trotzdem trennt er sich von ihr nach kurzer Zeit wieder. Ein Abwehrmechanismus, weil er sich ihr gegenüber nicht gut genug fühlt.

Da erzählt der Therapeut ihm von seiner geliebten Frau, die vor einiger Zeit gestorben ist. Er sagt sinngemäß: „Weißt du, was ich an meiner Frau am meisten vermisse? Die Nächte. Nachts hatte sie nämlich immer laute Blähungen, davon bin ich aufgewacht. Sie hat aber immer alles abgestritten.“

Will merkt: Man wird nicht geliebt, weil man perfekt ist. Das macht ihn frei, sich neu auf den Weg zu seiner Freundin zu machen. Er kann ihre Liebe jetzt besser annehmen. Perfektsein zu wollen, das ist offensichtlich der falsche Weg. Auch in meinem Alltag als Christin geht es nicht darum, perfekt zu sein. Gott sei Dank.

„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Das sagt Gott einmal zu Paulus, einem großen Star der ersten Christen. Er predigte wortgewaltig von Jesus und brachte das Christentum über die Grenzen Israels hinaus in die ganze Welt. Er lebte asketisch und forderte viel von sich und anderen. In seinen Texten wirkt Paulus auf mich ziemlich perfekt und unnahbar.

Dann lese ich: Paulus war ein schlechter Redner. Wegen seiner Krankheit, vielleicht war es Epilepsie, hatte er keine besondere Ausstrahlung. Paulus, der Stotternde und Kranke. Das war sicher frustrierend für ihn. Mir wird er dadurch aber sympathischer.

Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig. Dieser Satz von Paulus ist mir wichtig geworden. Oft entwickle ich erst einen Draht zu Menschen, wenn ich von ihren Ängsten, Macken und Krisen weiß. Komisch, dass man das am wenigsten bei sich selbst wahrhaben will. Gerade meine Grenzen sind ein Zugang zu Gott und zu den Menschen. Denn niemand ist perfekt. Und Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig.