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Eine Sendung von

Mensch Martin

Mensch Martin

„Jeder, der ihn genauer gekannt hat und oft in seiner Nähe gewesen ist, muss bezeugen, dass er ein sehr gütiger Mann war, im Verkehr mit anderen in allen Reden milde, freundlich und gar nicht frech, stürmisch, eigensinnig oder zänkisch. Und doch lag gleichzeitig Ernst und Festigkeit in seinen Worten, wie es einem solchen Manne zukommt.“ Wen meinen diese freundlichen Worte? Nun, so beschreibt Philipp Melanchthon seinen Freund Martin Luther. Luther, ein milder, gütiger Mann? Lässt sein Name nicht meistens ein ganz anderes Bild erscheinen – einen streitbaren Polterer, der um derbe Worte nicht verlegen ist, einen unnachgiebigen Streiter gegen seine Gegner, die er mit milden Worten wahrlich nicht verwöhnt? Heute hätte er sicherlich mit etlichen Beleidigungsklagen zu kämpfen.

In der Tat, Luthers Sprache war bilderreich und kraftvoll. Berühmt und berüchtigt sind manche drastischen Aussprüche bei den häuslichen Tischgesprächen. Zur Freude der Nachwelt haben die zu Tisch geladenen Studenten sie fleißig mitgeschrieben. Allerdings waren die Umgangsformen damals oft recht rauh, vor allem in Konflikten mit Gegnern. In dieser Hinsicht war Luther ein Kind der Zeit. In seinen Streitschriften erscheint er nicht nur als genialer Theologe, sondern oft auch als derber Grobian.

Melanchthon war das selbstverständlich vertraut. Er hielt aber fest, so wörtlich, „dass die Härte, die er – Luther – gegen die Feinde der reinen Lehre anwandte nicht auf zänkisches oder boshaftes Gemüt zurückzuführen war, sondern auf ein großes und ernstes Streben nach Wahrheit.“ Luther war zwar ein leidenschaftlicher Mensch, zugleich aber auch sehr selbstkritisch. Das war ein Erbe der täglichen klösterlichen Disziplin als Mönch im Augustinerkloster zu Erfurt. Denn aufrichtig praktiziert führen regelmäßiges Beichten und das Gebet zu Selbsterkenntnis. Im Licht der Ewigkeit bleiben die eigenen Schwächen und Unvollkommenheiten nicht verborgen. Doch das führte Luther mehr und mehr in tiefe Depression. Je mehr er sich quälte, ein makelloses und gottgefälliges Leben zu führen, desto größer wurde die Verzweiflung. „Die Angst mich zu verzweifeln trieb, dass nichts denn Sterben bei mir blieb, zur Höllen musst ich sinken.“ (EG 341,3)

So hielt er seine Seelenqualen später in einem Choral fest. Erst die Erkenntnis, dass eigene Anstrengung nicht zur Vollkommenheit führt, sondern allein die Hingabe an Gottes Gnade, wurde zum Wendepunkt. Er hatte erfahren: Menschliches Leben bleibt stets offen für die Zukunft. Und die liegt in Gottes Hand. Mein liebstes Luther-Wort lautet:

„Dies Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden; nicht ein Gesundsein, sondern ein Gesundwerden; Überhaupt nicht ein Wesen, sondern ein Werden; nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan und geschehen, es ist aber im Schwang. Es ist nicht das Ende. Es ist aber der Weg.“