Meine Bäume
Sie waren schon da, als ich die Wiese erwarb zwei Kirschbäume, zwei Mirabellenbäume, zwei Pflaumenbäume, ein Birnbaum, fünf Apfelbäume. Sie standen dort seit Jahrzehnten, vielgestaltig und fruchtbar. Jeder von ihnen eine Persönlichkeit.
Königlich, vor allem im Ornat seiner Blütenherrlichkeit, der alte Kirschbaum. Mütterlich die Apfelbäume, die immer 2 Sorten Frucht tragen. Im einen Jahr die Graue Renette, im andern Jahr die Goldparmäne – Äpfel habe ich immer.Schmackhafte Sekundanten die Mirabellen. Verlässlich die späten Pflaumen...
Es gibt Bäume, die reden von Großem. Die werden verehrt. Obstbäume reden vom Menschen. Die werden nicht verehrt. Die werden geliebt. Sie sind die Freude der Kinder, bereichern unsere Vorratskammer und unsere Tafel.
Doch die alten Hochstämme sind selten geworden, sind auch in vielen Privatgärten pflückfreundlichen Büschen gewichen. Denen wird nie und nimmer ein Dichter ein Denkmal setzen, wie es Fontane mit dem schönen Gedicht vom Birnbaum im Garten des Grafen von Ribeck zu Ribeck im Havelland getan hat!
Die Bäume waren es, die mich seinerzeit an dem Grundstück faszinierten. Sie geben ihm Alter und Würde und jeder, der mich besucht, meint, es habe das Haus hier schon immer gestanden. Unter den Bäumen.
Umso schmerzlicher traf mich die Erkenntnis, dass auch ihre Lebenszeit begrenzt ist.
Mit meiner eigenen Endlichkeit setze ich mich immer wieder auseinander. Mit der Endlichkeit meiner Bäume hatte ich nicht gerechnet. Ließ ich ihnen nicht immer wieder den berühmten Verjüngungsschnitt zukommen? Können sie nicht einfach immer weiter grünen, blühen und Frucht tragen und mir diesen beruhigenden Anblick von Beständigkeit bieten, so, wie sie es zu meiner Freude jahrzehntelang Jahre lang getan haben?
Nein, sie können nicht. Einer nach dem andern fängt an, sich zu verabschieden. Die Pflaumen zuerst. Ich ahnte es, als der Specht anfing, so hartnäckig an ihrer Rinde zu picken.
Dann die alte Birne. Eine Gefahr sei sie, sagten die Nachbarn, bei dieser Höhe und diesem Alter. Denken Sie an die Stürme, die wir inzwischen haben. Ich dachte an die Stürme und an die kärgliche Frucht, die dieser hohe Baum noch trug. Ich konnte auch den Anblick der verkahlten Zweige der Pflaume nicht mehr ertragen und beschloss, sie fällen zu lassen.
Doch dann saß ich mit einer Freundin auf der Terrasse, und es fiel ihr, an dem zum Abholzen freigegeben Pflaumenbaum, etwas auf. Aus den Astlöchern sahen nackte junge Vögel heraus. Der Specht hatte im Inneren dreistöckig Wohnung genommen und versorgte nun treulich seine Jungen.
Konnten wir diesen Baum noch fällen? Nein, das konnten wir nicht. Wir entfernten die unbelaubte Krone, ließen drei nackte Äste und den von Familie Specht bewohnten Stamm stehen.
Auch für den alten Birnbaum fand sich ein neuer Daseinszweck. Wir nahmen ihm die Höhe, die vielen toten Äste und haben an den kahlen Stamm eine Kletterrose gepflanzt. Längst hat sie sich in die Höhe geschraubt und umrankt nun das, was einmal der alte Birnbaum war, aufs Anmutigste.
Gartenromantik einer aufs Land verschlagenen Städterin? Ich sehe es anders: Mir sind meine umgewandelten Bäume ein Sinnbild dafür, dass es gelingen kann, auch im Alter neu zu werden.