Mauer
Jede Mauer hat zwei Seiten. Eine schützende Seite und eine, die ausgrenzt und einsperrt. Es kann herrlich sein, hinter efeuüberwachsenen Mauern vor fremden Blicken den eigenen Garten zu genießen. „My home is my castle.“ Mein Zuhause ist meine Burg, mein sicherer Rückzugsort, an dem mich niemand stören kann. Zugleich trennt und scheidet jede Mauer: in ein Drinnen und Draußen, in ein „wir hier“ und „ihr da drüben“.
Man kann die Mauern der Menschheitsgeschichte faszinierend finden. Dann wandert man auf den Spuren der Römer an den Überresten des Limes entlang, jenes Schutzwalls, den die Römer zur Abwehr der noch nicht unterworfenen Germanenstämme quer durch Deutschland gebaut haben. Man kann die Chinesische Mauer bewundern, die sogar vom Mond aus zu sehen ist. Letztlich sind und bleiben solche Mauern menschliche Bankrotterklärungen, die besagen: Wir konnten euch nicht unterwerfen. Wir können nicht in Frieden miteinander leben. Dann schotten wir uns ab und lassen den steinernen oder eisernen Vorhang runter.
Heute vor 50 Jahren wurde mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen. In einer Nachtund Nebelaktion wurden Straßen, Gleiswege, S- und U-Bahn-Verbindungen zwischen Ost und West abgeriegelt. Über 28 Jahre lang sperrte die Mauer den einen Teil der Bevölkerung ein, den anderen aus. Aus Furcht vor massenhafter Republikflucht hatte die DDR die Mauer mörderisch gemacht. Der scheinbar harmlose Psalmvers „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ (Psalm 18, 30) konnte als gefährliche politische Provokation verstanden werden. Die Bibel ist eben ganz und gar nicht harmlos in ihrer Botschaft. Besonders nicht, wenn sie sagt, dass Menschen in Gottes Namen frei werden dürfen.
Seit fast 22 Jahren ist die Mauer gefallen. Nicht durch Rammböcke, nicht durch Angriffe von außen. Sie wurde ohne Gewalt, von innen heraus überwunden. Darüber kann man bis heute nicht genug staunen. Wenn man sieht, mit viel Blutvergießen derzeit in arabischen Ländern ein Wandel zu mehr Freiheit versucht wird, kann man über die friedliche Wende in unserem Land einfach nur unendlich dankbar sein.