hr2 MORGENFEIER
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Kohlgraf, Peter

Eine Sendung von

Bischof von Mainz

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Kerze brennt mit weihnachtlicher Deko

Licht, Leben, Liebe – das Evangelium von Weihnachten

Weihnachten ist ein Fest des Lichtes. Auch bei mir leuchtet der Weihnachtsbaum hell, Kerzen brennen, und in den Kirchen erstrahlen die Gottesdienste in festlichem Glanz. Die Städte sind heller als sonst. 

Licht als Grundlage des Lebens

Das Symbol des Lichtes begleitet die Menschheit seit Urzeiten. Schon immer haben Menschen Sonne, Mond und Sterne verehrt, denn Licht ist die Grundlage allen Lebens. Ohne Licht gäbe es kein Leben. Wenn an Weihnachten so viele Lichter leuchten, feiern wir das Leben. Wir sind dankbar für alles, was unser Leben hell und lebenswert macht.

Betrachtet man die Erde aus dem Weltraum, sieht man Gegenden, die hell erleuchtet sind, und andere, die im Dunkeln liegen. Dieser Blick von oben kann ein Hinweis darauf sein, dass sich Licht, Energie und Lebensmöglichkeiten ungleich oder gar ungerecht verteilen.

Künstliches Licht macht krank

Zu viel künstliches Licht kann aber auch schaden. Immer häufiger hören wir vom Problem der Lichtverschmutzung. Für die Bewohner großer Städte bedeutet dies, dass sie den Sternenhimmel praktisch nicht mehr wahrnehmen, Lichtverschmutzung beeinträchtigt auch die Gesundheit und die natürlichen Vorgänge. Zu viel künstliches Licht kann Menschen und Tiere krankmachen.

Die Suche nach dem wirklichen Licht

Weihnachten bedeutet für mich in jedem Jahr, mich nicht vom vielen äußeren Licht blenden zu lassen, sondern das wirkliche Licht zu suchen: das Licht, das mir hilft, gut zu leben, Orientierung zu finden und die Quelle meines Lebens neu zu entdecken. Es gibt auch im übertragenen Sinn manches „künstliche Licht“, das verhindert, dass ich den Himmel über mir sehe und das Licht erkenne, das mir wirklich zum Leben hilft. 

Ich genieße die Adventszeit jedes Jahr sehr. Während draußen die Weihnachtsmärkte hell erleuchtet sind, brennen in den Kirchen die kleinen Lichter des Adventskranzes, das ist auch bei mir zu Hause so. Woche für Woche wird es heller, aber dieses Licht blendet nicht. Die kleinen Flammen führen mich hin zu dem einen Licht, das ich an Weihnachten feiere. Das Licht von Weihnachten ist kein grelles Licht, das erdrückt oder blind macht. 

Licht im Evangelium

Wenn ich in der Heiligen Nacht das Evangelium höre, berührt es mich jedes Jahr aufs Neue: Da wird vom großen Kaiser Augustus erzählt, der sich als „Heiland der Welt“ feiern ließ. Sein Reich beruhte auf Gewalt und Unterdrückung. Sein Glanz sollte die Welt mit Monumenten, Triumphbögen und Prachtbauten überstrahlen. 

Doch das Weihnachtsevangelium stellt diesem Licht ein anderes gegenüber: ein Kind in der Krippe – schutzbedürftig, machtlos, unscheinbar. In den Palästen dieser Welt ist für dieses Kind kein Platz. Kaiser Augustus ruft eine große Volkszählung aus. Der Staat und der Kaiser erfassen alles und jeden. Das Licht des Kaisers will in den letzten Winkel strahlen und alle Menschen erfassen. Das Militär muss bezahlt werden, um seine Macht zu sichern, die Bürokratie muss funktionieren. Der Kaiser braucht Geld, um die Bauten, die Tempel, die Sportstätten und Theater finanzieren zu können. 

“Blender” und das “Licht der Krippe”

Im Letzten geht es darum, selbst vor der Welt glänzen zu können und die Menschen in schwierigen Zeiten bei Laune zu halten. Der Glanz des Kaisers Augustus beruht auf Gewalt und Unterdrückung. Solche „Blender“ gibt es auch heute. Menschen, die nur ihren eigenen Glanz suchen, die nicht Leben schenken, sondern sich selbst Denkmäler bauen. 

Das Licht der Krippe dagegen lenkt den Blick weg vom eigenen Ego hin zu den Menschen, die am Rand stehen, zu den Armen, den Vergessenen. Das kleine Licht macht nicht blind für die Not anderer, es ermöglicht einen realistischen Blick auf diese Welt. Das Licht von Weihnachten ist das Gegenteil jedes Blendwerks. Kaiser Augustus steht im Evangelium für menschlichen Hochmut und Machtstreben. Das Kind in der Krippe leuchtet im Kleinen, es macht den Blick auf den Sternenhimmel möglich.

Musik 1: Friedrich Zipp (1914-1997): O Betlehem, du kleine Stadt [2:34] (CD: Vom Himmel hoch / Mainzer Figuralchor, Ltg.: Stefan Weiler).

Johannesevangelium: Licht kommt in die Dunkelheit

Wenn ich am 1. Weihnachtstag in den katholischen Gottesdienst gehe, höre ich nicht das Evangelium von der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem, ich höre nicht mehr von den Hirten und dem Gesang der Engel. Diese vielen Menschen noch vertraute Szene findet sich im Lukasevangelium. Am 1. Weihnachtstag dagegen hören die Gläubigen im Gottesdienst einen Text aus dem Johannesevangelium, es ist ein feierlicher, aber auch durchaus komplizierter Text:

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. […] In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Joh 1,1–5)

Johannes spricht von dem Wort, das Fleisch wird – vom Licht, das in die Dunkelheit kommt. Seine Sprache erhebt den Blick, ohne den Boden zu verlieren. Er sieht die ganze Wirklichkeit von Gott erfüllt. Gottes Wort wird Mensch – berührbar und erfahrbar. In Jesus wird Gottes Wort Licht, Leben, Liebe.

Licht, Leben und Liebe

Diese drei Worte „Licht“, „Leben“ und „Liebe“ hat der Arzt Kurt Reuber an Weihnachten 1942 in Stalingrad auf ein Stück Papier geschrieben. Dort, mitten im Krieg, malte er die berühmte Madonna von Stalingrad: eine Mutter, die ihr Kind zärtlich in den Armen hält, geborgen im Dunkel. Reuber schrieb dazu:

„Das Bild ist so: Kind und Mutterkopf zueinander geneigt, von einem großen Tuch umschlossen. ‚Geborgenheit‘ und ‚Umschließung‘ von Mutter und Kind. Mir kamen die Worte aus dem Johannes-Evangelium: Licht, Leben, Liebe. Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt, in der Dunkelheit, von Tod und Hass umgeben – und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben, Liebe, die so unendlich groß ist in uns.“

Dieses Bild hat damals wie heute viele Menschen getröstet. Auch mich berührt es tief: Maria mit dem schutzlosen Kind – ein Bild des Lichtes. Der Text des Johannesevangeliums am Weihnachtsmorgen ist ein schwieriger Text, er ist hohe Theologie. So schwierig er aber auch sein mag: Licht, Leben, Liebe fassen ihn gut zusammen, und der Arzt und Maler Kurt Reuber kann in seiner dunklen Situation in seinem Bild von der Mutter und ihrem Kind diese tröstenden Worte zusammenbringen. 

Das Licht will in die Welt kommen

Maria mit dem schutzlosen Jesuskind ist für ihn das Bild des Trostes und der Hoffnung. Jesus wird Mensch mitten in unserer dunklen Welt, in meiner Welt. Ich schaue auf unsere Welt, so wie sie auch an diesem Weihnachtsfest ist. Das Licht will in die Welt kommen, aber die Finsternis scheint oft stärker zu sein. 

Licht, Leben und Liebe stehen für meine große Hoffnung, die viele Menschen in dieser Zeit im Glauben teilen. Dieses Licht lenkt nicht von den Dunkelheiten ab, es strahlt klein und manchmal unscheinbar in die vielen Dunkelheiten dieser Welt. Dem Kind in den Armen der Mutter ist das Dunkel nicht fremd, es leuchtet auf meinen Weg, es macht mir Mut, meinen Weg zu gehen, mich nicht vom Dunkel, vom Leid, vom Tod lähmen zu lassen. Der Hass darf nicht siegen, nicht Menschenverachtung und das viele Leid, das Menschen einander antun. Das Licht gibt Hoffnung, etwas verändern zu können. 

Musik 2: Max Reger (1873-1916): Das Wort ward Fleisch [1:57] (CD: Stille Nacht, Rias Kammerchor, Ltg. Uwe Gronostay, harmonia mundi LC 7045)

Jesus bedeutet auch heute noch Licht und Leben

Jesus, das Kind in der Krippe, kann für Menschen auch heute noch Licht und Leben sein. Es ist Hoffnung und Ermutigung. Dieses Jesuskind wird eines Tages erwachsen sein, wir können von ihm in den Evangelien lesen. Wir erfahren, was er Menschen damals bedeutet hat, und wie er bis heute Menschen ermutigt, mit Licht nicht zu blenden, sich nicht selbst anzustrahlen, sondern Licht in die Welt zu bringen und anderen das Leben heller zu machen. 

Eines Tages wird Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern zumuten, selbst Licht der Welt zu sein. Er traut Menschen zu, dies zu können: Licht zu sein für die Welt und andere Menschen, Lebensspenderinnen und Lebensspender, Menschen, die Hoffnung und Mut verbreiten. Wer dies leisten möchte, will sich nicht selbst großmachen. Er soll das Licht, das Leben und die Liebe, die er als Geschenk Gottes erlebt hat, weitergeben. Oder er tut es, weil er einfach Respekt und Interesse für andere Menschen empfindet.

Jesus' Licht als Trost, Stärkung und Ermutigung

An Weihnachten schauen wir auf das Kind und lassen uns von diesem kleinen Licht trösten, stärken und ermutigen. Auch der erwachsene Jesus strahlt dieses Licht aus. Er wendet sich Menschen zu, die keine Hoffnung haben. Er kann Kranke heilen und ihnen eine Zukunft schenken. Er warnt vor Hass, Egoismus, Geltungssucht und Rachegelüsten. 

Er zeigt: Wahres Leben entsteht nicht aus Besitz und Leistung, sondern ist ein Geschenk, das wir weitergeben können. Die Welt wird durch Barmherzigkeit und Zuwendung heller. Jesus ermutigt dazu, sich von Schuld nicht lähmen zu lassen, sondern auf neue Anfänge zu bauen. 

Bis heute haben sich Menschen von ihm faszinieren lassen. Sie vertrauen darauf, dass dieses Licht nicht aus ihnen selbst kommt, sondern von Gott ausgeht. Vor allem lassen sie sich nicht blenden von den vielen künstlichen Lichtern dieser Welt, von Menschen, die sich aufspielen und sich selbst zu Heilsbringern erklären. Gegen Jesus, dessen Geburt die Menschen heute feiern, wirkt selbst Kaiser Augustus eher klein und unbedeutend – auch wenn das der Kaiser wohl nicht gerne gehört hätte. 

Musik 3: William Harris: Holy is the true light [01:38] (CD: Ubi caritas et amor Deus ibi est, sonat vox LC 05187).

Das Weihnachtsfest steht im Zeichen des Friedens

Für mich ist es eines der größten Rätsel, wie Menschen, die sich äußerlich zum Glauben an Jesus bekennen, aus nationalistischen oder anderen Gründen einander hassen und sogar töten. Noch abstoßender wird es, wenn der Glaube als Begründung für Hass und Krieg herhalten muss. Das Licht von Weihnachten überblendet diesen Skandal nicht, sondern legt ihn offen. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass im Weihnachtsfest ein großes Potenzial für Frieden und Miteinander steckt. 

Vor wenigen Wochen haben sich in Breslau Christinnen und Christen getroffen, um einen Versöhnungsakt zu begehen. Im Jahr 1965 schrieben polnische Bischöfe unter der Überschrift „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ an ihre deutschen Amtsbrüder. Das war ein unglaubliches Zeichen, um weitere Schritte aufeinander zuzugehen. Die deutschen Bischöfe haben die ausgestreckte Hand damals angenommen. 

Wie ich ein Licht ausstrahlen kann

Im Moment kann ich für den Frieden beten und den Irrsinn benennen, wenn Menschen einander hassen. In meinem kleinen Umfeld kann ich Licht ausstrahlen, indem ich Versöhnung stifte. Auch in Familien oder Freundeskreisen gibt es ja manchmal Streit und Schweigen – Jahre oder gar Jahrzehnte lang. Wenn dann einer den Mut hat, die Hand auszustrecken, eine Nachricht zu schreiben oder zum Telefonhörer zu greifen, kann ein Licht aufgehen.

Ein Licht kann ich auch anzünden, indem ich mich einsetze für Demokratie, für Klimaschutz oder mitmache bei einer Initiative für Gerechtigkeit. Ein Licht kann aufleuchten, wenn ich einem Menschen zuhöre, der sich allein fühlt. Oder wenn ich für jemanden einstehe, der ungerecht behandelt wird. Diese Lichter mögen noch so klein sein – und doch sind sie fähig, Wärme auszustrahlen und neue Lichter zu entfachen.

Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass es auch in den großen dunklen Nächten dieser Welt eines Tages neues Licht geben mag. Nicht die vielen künstlichen Lichter machen mir Hoffnung, sondern das kleine Licht, das damals in Bethlehem zu leuchten begonnen hat und bis heute Lichtträgerinnen und Lichtträger sucht. 

Musik 4: Bernard Huijbers (1922-2003): Manchmal bricht ein Licht [3, 22 / 3:42] (CD: Atem meiner Lieder, mirasound)