Zwischen den Jahren das Loslassen üben
Es gibt diese Tage, an denen der Kalender leer ist und ich trotzdem nicht richtig zur Ruhe komme. Die Feiertage liegen hinter mir, das neue Jahr ist noch nicht da. Weihnachten ist vorbei, auch wenn der Weihnachtsbaum mit seinen Lichtern noch steht.
Die Geschenke sind ausgepackt, der Alltag meldet sich leise zurück. Ich sitze dann da, noch im Schlafanzug mit einer Tasse Tee, schaue auf den Weihnachtsbaum und bin etwas nachdenklich.
“War das jetzt alles?”
Früher habe ich versucht, diese Tage sinnvoll zu füllen: aufräumen, sortieren, Liegengebliebenes erledigen. Heute merke ich, wenn ich ehrlich bin: Genau das funktioniert oft nicht. Stattdessen meldet sich etwas anderes. Gedanken, die keinen festen Platz haben. Ein Gefühl von Müdigkeit. Die Erkenntnis, dass ich mir wieder einmal zu viel vorgenommen habe. Vielleicht auch die Frage: War das jetzt alles?
„Zwischen den Jahren“ nennen wir diese Zeit. Wenn man darüber nachdenkt: Ein merkwürdiger Ausdruck. Als gäbe es Tage, die eigentlich nicht richtig zählen. Als würden sie irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft hängen bleiben.
Tatsächlich ist der Ausdruck entstanden, weil es verschiedene Kalender und Jahresanfänge gab. Und manchmal fühlt es sich für mich genau so an: Ich bin noch nicht bereit für Neues, aber auch nicht mehr ganz im Alten zu Hause.
Eine Mischung aus Dankbarkeit und Leere
Viele Menschen – ich zähle mich da durchaus dazu - empfinden gerade jetzt eine seltsame Mischung aus Dankbarkeit und Leere. Die Tage waren trubelig mit Familienbesuchen, viel gutem Essen, Begegnungen, Gesprächen – und jetzt ist es wieder still. Es gab Nähe – und nun Abstand. Manche spüren Freude, andere Traurigkeit. Und nicht selten beides zugleich.
Diese Zwischenräume sind unbequem. Sie lassen sich schlecht planen. Man kann sie nicht abhaken. Und doch glaube ich: Sie sind wichtig. Vielleicht sogar notwendiger, als wir denken. Denn in diesen Tagen fällt etwas weg: der Druck, etwas darstellen zu müssen. Kein Fest, keine Erwartungen, kein Höhepunkt. Nur Zeit. Und wir selbst mittendrin.
Gott ist auch “Zwischen den Jahren” da
Dann frage ich mich, warum wir mit solchen Zeiten manchmal so schlecht umgehen können. Warum wollen viele Menschen sie oft so schnell füllen? Vielleicht, weil sie uns etwas zeigen, das wir sonst übersehen: dass nicht alles abgeschlossen ist. Dass es Dinge gibt, die offenbleiben. Dass nicht jedes Jahr eine runde Geschichte ergibt.
Für mich sind diese Tage nicht nur ein Loch im Kalender. Ich glaube: Gott ist auch da, nicht nur im Glanz des Festes, nicht nur in der idyllischen Krippenszene, die ich bei mir unter dem Baum betrachten kann, sondern gerade auch im Unfertigen, im Übergang.
Musik
Meine Krippe erinnert mich an früher
Unter unserem Weihnachtsbaum steht eine sehr schöne Krippe. Ich freue mich jedes Jahr darauf, wenn es wieder so weit ist, sie auszupacken und aufzustellen. Den Stall, die heilige Familie, Ochs und Esel, eine Hirtin mit Schafen und Ziegen und hinter dem Baum warten schon die heiligen drei Könige auf ihren Einsatz. Da werden Kindheitserinnerungen bei mir wach – an Tage, die erfüllt waren von diesem glückseligen Weihnachtsgefühl.
Aber wenn ich heute an so einem Tag zwischen den Jahren gemütlich mit einer Tasse Tee vor dem Weihnachtsbaum sitze und auf diese idyllische Krippenszene schaue, dann muss ich noch an etwas anderes denken: Die Weihnachtsgeschichte endet nicht mit der Idylle, sie besteht nicht nur aus dem trauten Stillleben der Heiligen Familie. Zumindest nicht in der Bibel.
Auch Unruhe gehört zu Weihnachten
Kaum ist das Kind geboren, wird die Geschichte nämlich brüchig. Bedrohlich. Unruhig. Maria und Josef bleiben nicht lange an der Krippe sitzen. Sie müssen mit dem Neugeborenen fliehen. Ein König fühlt sich bedroht, Kinder werden getötet, Sicherheit zerbricht.
Das gehört auch zur Weihnachtsgeschichte – und wird doch oft überhört.
Vielleicht, weil es nicht zu den Erwartungen an Weihnachten passt. Viele erhoffen sich vielleicht eher einen Gott, der Ordnung schafft, der alles gut macht. Wie schön wäre es, wenn an Weihnachten wirklich „Frieden auf Erden“ wäre, wie die Engel singen. Stattdessen kommt Gott als Kind in eine Welt, die unsicher bleibt.
Ist das nun eine Zumutung oder Gnade?
Gottes Ja zum Unfertigen
Für mich ist Weihnachten jenseits der Idylle ein Fest, an dem ich feiere: Gott tritt in diese Welt ein und er entscheidet sich nicht für den perfekten Moment. Er wartet nicht, bis alles fertig ist. Er kommt mitten hinein – in eine Zeit voller Angst und Gewalt. Und er bleibt darin.
Weihnachten ist kein Höhepunkt oder Abschluss einer Geschichte. Es ist ein Anfang ohne Garantie. Gottes Ja zum Unfertigen. Das ist für mich eine der stärksten Botschaften dieses Festes.
Vielleicht berühren diese Tage zwischen den Jahren deshalb so sehr. Weil sie etwas von dieser göttlichen Logik in sich tragen. Sie sind keine Leerstelle, sondern ein Resonanzraum. Hier muss nichts fertig sein, um gültig zu sein. Für mich ist das manchmal auch herausfordernd: Wie gerne bin ich organisiert, habe einen Plan und die Dinge im Griff.
Vertrauen lernen
In der Bibel wird diese Haltung immer wieder in Frage gestellt, nicht nur in der Weihnachtsgeschichte. Es geht vielmehr darum, Vertrauen zu lernen. Dinge aus der Hand zu geben. Nicht alles sichern zu wollen, weil wir ohnehin nicht alles sichern können.
Josef muss mit seiner kleinen Familie aufbrechen und nach Ägypten fliehen. Maria muss ihr Kind loslassen – immer wieder und zuletzt am Kreuz. Die Jünger später lassen ihre Fischernetze zurück, ihre Pläne und Vorstellungen und lassen sich auf Jesus ein.
Und schließlich die Geschichte von Petrus, der von Jesus aufgefordert wird, über das bewegte Wasser zu ihm zu kommen. Hier wird deutlich, wie radikal die Entscheidung ist, zu glauben. Glaube bedeutet, sich tragen zu lassen. Das ist eine andere Art von Stärke. Eine, die nicht aus Kontrolle entsteht, sondern aus Vertrauen.
Vielleicht sind die Tage zwischen den Jahren genau dafür da: Nicht, um Bilanz zu ziehen. Nicht, um Liegengebliebenes abzuarbeiten. Nicht, um Vorsätze zu machen. Sondern um Vertrauen zu üben.
Doch was heißt das konkret – für mein Leben, für den Blick nach vorn, wenn das neue Jahr anklopft?
Musik
Das neue Jahr steht vor der Tür
In wenigen Tagen ist es wieder soweit. Das neue Jahr klopft an, es wird wieder gezählt, geplant, beschlossen: Gute Vorsätze. Neue Ziele. Mehr Disziplin. Mehr Erfolg. Mehr von allem. Das neue Jahr kommt oft mit einem sehr mächtigen und lauten Anspruch daher.
Loslassen
Die Tage davor sind anders. Sie sind leiser. Und vielleicht sind sie gerade deshalb kostbar.
Ich glaube, diese Zeit lädt uns ein, nicht zu fragen: Was will ich erreichen? Sondern: Was darf ich loslassen?
Vielleicht den Gedanken, dass ich immer funktionieren muss.
Vielleicht eine Last, die ich schon lange mit mir herumtrage.
Vielleicht auch die Erwartung, dass das nächste Jahr perfekt werden muss.
Loslassen heißt nicht, vergessen. Es heißt auch nicht, dass alles egal ist. Es heißt, sich selbst einzugestehen: Ich vermag nicht alles aus eigener Kraft. Und ich darf vertrauen: Anderen und Gott.
Gott begleitet uns
Mein Gott ist keiner, der Tabellen führt, oder ToDo-Listen, keiner, der mit mir abrechnet. Ich glaube an einen Gott, der begleitet, der mitgeht. Auch über die Schwelle ins Neue – ohne dass schon alles feststeht.
Vielleicht ist das der Segen dieser Tage dazwischen: Dass ich nichts entscheiden muss. Dass ich nicht wissen muss, wie genau es weitergeht. Ich darf vertrauen: einer geht mit mir!
Zwischen den Jahren – das ist keine Leerstelle im Kalender, kein leerer Raum, sondern ein Raum, in dem Gott Platz nimmt, für mich da ist: Still und unaufdringlich. Zumindest möchte ich einmal versuchen, die Tage dazwischen genau so zu nehmen – mit dem Mut, ein bisschen mehr loszulassen. Und vielleicht beginnt genau dann etwas Neues.