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Spriestersbach, Bernd

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Fulda

Junker Jörg und das Neue Testament

Junker Jörg und das Neue Testament

Unweit des Rennsteigs in Thüringen geschah es: Dieses Kidnapping. Der vorgetäuschte Überfall auf Martin Luther. Eine vorsorgliche Entführung ist es gewesen. Heute vor 490 Jahren. Ein fingierter Überfall, dem wir die Deutsche Bibel verdanken.

Auf dem Reichstag zu Worms hatte Luther seine Lehre nicht widerrufen. Freies Geleit war zugesagt, doch die Reichsacht schwebte über ihm. Vogelfrei und rechtlos würde sie sein Leben machen. Um ihn zu schützen, ließ Kurfürst Friedrich der Weise seinen Zögling Luther entführen. Und auf die Wartburg bei Eisenach bringen. Von der kirchenpolitischen Bühne war der Urheber der Querelen nun verschwunden. Seine Gegner wussten nicht, wo Luther geblieben war. Als Junker Jörg – mit entsprechender Kleidung und Bart getarnt – blieb Luther zehn Monate in seinem Versteck auf der Wartburg. Er nutzte die Zeit. Auf der Burg übersetzte er das Neue Testament ins Deutsche. Die lateinische Bibel lag ihm vor. Daneben das griechische Neue Testament. Ende Februar 1522 war es geschafft: In nur 11 Wochen hatte er das Neue Testament ins Deutsche übersetzt. Als ‚SeptemberTestament‘ ist diese Übersetzung bekannt geworden - weil im September 1522 gedruckt.

Luthers Übersetzung war nicht die erste deutsche Bibel. Was alle früheren Übersetzungen aber in den Schatten stellte, war Luthers Bemühen um ein Verständnis der biblischen Sache. Und seine Sprachmächtigkeit. Hart gearbeitet hat Luther in diesen elf Wochen. Hat 8 ½ Seiten täglich aus dem Griechischen übersetzt. Angespornt von einem Ziel: Jeder soll die Gute Nachricht von der Liebe Gottes in seiner Muttersprache lesen können. Mündig umgehen können mit dem Wort Gottes, das für Luther die alleinige Autorität in Glaubensfragen war. Es lesen und verstehen können. Luther hätte die Bibel auch übersetzt, wenn er nicht auf der Wartburg festgesessen hätte. Aber die Entführung vor 490 Jahren und die Zeit als Junker Jörg haben die zügige Übersetzungsarbeit sicher gefördert.

Die Bibel auf Deutsch. Lebensworte in meiner Sprache. Das war Luther wichtig. Das Wort Gottes will ausgetrocknetes Leben frisch machen. Wie ein Platzregen. Auch heute noch gilt Luthers Appell:

"Ich achte, dass Deutschland noch nie so viel von Gottes Wort gehört habe wie jetzt ... Liebe Deutsche, kauft, solange der Markt vor der Türe ist, sammelt ein, solange Sonnenschein und gut Wetter ist, braucht Gottes Gnade und Wort, solange es da ist! Denn das sollt ihr wissen: Gottes Wort und Gnade ist ein fahrender Platzregen, der nicht wieder dahin kommt, wo er einmal gewesen ist ... Drum greift zu und haltet fest, wer greifen und halten kann!"

Als Zierde im Bücherschrank bleibt die Bibel stumm. Gelesen will sie sein. Dafür hat Luther, alias Junker Jörg, sie übersetzt.