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Eine Sendung von

Alt-Wildungen

Gott ist unsichtbar

Gott ist unsichtbar

Für Lieder gibt es Charts, für Filme Hitlisten, für Geschichten der Bibel wüsste ich jetzt keine. Aber eines weiß ich aus der Grundschule. Wenn ich morgen eine Familiengeschichte aus dem Alten Testament erzählen werde, weiß ich: die Geschichte wird laufen. Sie sind vielleicht der Meinung, es müsste doch jede Geschichte des Lehrplans Erfolg haben. Haben sie aber nicht. Kinder sind ein ehrliches Publikum. Wenn ihnen die Geschichte nicht gefällt, zeigen sie das auch. So, dass ich es merke. Jesusgeschichten zum Beispiel, mit Ausnahme der Passiongeschichte, gehen nicht so gut. Vielleicht muss man erst erwachsen werden, um sich in Jesusgeschichten hinein zu fühlen. Der Gott der alttestamentlichen Familien- und Königsgeschichten aber, der Menschen besucht und sich zeigt, der gefragt werden kann und antwortet, der spricht und handelt, der Jerusalem liebt und zornig Sodom und Gomorrha in Asche wirft, dessen Geschichten mögen Kinder, jedenfalls die in meinen Klassen.

Neulich habe ich erzählt, wie Abraham Gott herunterhandelt. Erst will Gott die Städte sowieso zerstören. Dann bewegt Abraham ihn dazu, es doch vielleicht, wegen 50 Gerechter , die in er Stadt wohnen könnten, lieber bleiben zu lassen. Schließlich hat Abraham Gott auf 10 Gerechte heruntergehandelt, dann ist Schluss. Die Geschichte ist gut. Da sagt ein Junge: „Ich möchte auch gerne mit Gott sprechen.“ „Geht nicht, der ist unsichtbar“, antwortet ein anderes Kind. Das stellt den Fragesteller nicht wirklich zufrieden. Ich kann ihn gut verstehen, ich hoffe nur darauf, dass diese Unzufriedenheit sich vielleicht eines Tages in die Sehnsucht verwandelt, Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Innerlich geht mir die Diskussion der Kinder aber noch nach. Ich könnte auch denken: Gott ist unsichtbar, weil es ihn nicht gibt. Gut, dann erübrigt sich weiteres Denken. Wenn das aber nicht geht, weil man mit ihm schon so viel erlebt hat, dann stellt sich eine andere Frage. Vielleicht hat Gott einen Grund, uns nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu treten?

Bei Menschen sehe ich, dass sich ihr Leben ins Gesicht einzeichnet. Je älter, desto mehr. Nun stelle ich mir vor, in Gottes Angesicht zeichne sich auch ein, was er erlebt hat. Er, der schon so lange da ist. Dann steht in Gottes Angesicht mehr zu lesen, als für einen menschlichen Verstand zu lesen ist. Mehr an Lebensfreude, mehr an Schmerz, mehr an Zorn, auch mehr an Güte, als ein menschliches Herz lebend fassen kann. So würde ich dem Jungen antworten und sagen: „Ich würde Gott auch gerne sehen. Es kann aber nicht sein. Für dich und für mich ist es besser, wenn wir die Ausschnitte wahrnehmen, in denen er zu sehen, zu spüren, zu fühlen ist. Den Rest behält er besser für sich.“