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Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin und Professorin für Religionspädagogik, Würzburg

Die Passionszeit in Japan mahnt zur Umkehr

Die Passionszeit in Japan mahnt zur Umkehr

Noch diese Woche, dann ist für dieses Jahr die Passionszeit vorbei. Für mich war das alles bestimmende Thema Japan. Passion, das heißt ja Leiden. Und was wir aus Japan von der Atomkatastrophe mitbekommen, das ist ein unermessliches Leiden. Denn das Ausmaß ist noch nicht bekannt. Und zwar nicht nur für die Menschen in Japan, die unmittelbar betroffen sind. Sondern für die ganze Schöpfung: für die gesamte Erdbevölkerung, die Tiere im Meer, an Land und in der Luft, die Erde selbst. Auf Nachrichten darüber, dass sich die Lage entspannt, warten wir vergeblich.

Ein paar Zeilen aus einem der biblischen Psalmen beschreiben, was ich in dieser Katastrophe fühle: „Ich bin dem Fallen nahe, und mein Schmerz ist immer vor mir. So bekenne ich denn meine Missetat und sorge mich wegen meiner Sünde.“ Und dann heißt es weiter: „Verlass mich nicht, Herr, mein Gott, sei nicht ferne von mir!“ (Ps. 38)

Die Situation eines Menschen vor zweitausend Jahren ist nicht mit meiner vergleichbar. Aber es gibt ganz offensichtlich etwas, was Menschen aller Zeiten gemeinsam ist. Wenn Leid und Unglück droht, wenn der Boden unter den Füßen wankt, suchen viele Gottes Nähe: „Sei mir nicht fern!“.

Ich habe mir einmal vorgestellt:Der nukleare Supergau wäre nicht in Fukushima passiert, sondern hier in Hessen, in Biblis, oder in einem anderen Atomkraftwerk in Europa. Und ich bin nicht die erste, die sich das ausmalt. Längst sind darüber Filme und Bücher entstanden, Science Fiction, aber auch Dokumentationen und Sachbücher. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie schnell es bei uns Versorgungsengpässe geben würde, wie schnell die Regale in den deutschen Supermärkten leer wären. Was wäre dann mit den Kindern, mit ihrer Zukunft? In Japan hat die Realität diese Gedanken längst eingeholt.

So lange Menschen leben, wünschen und hoffen sie, dass sie von großem Leid verschont bleiben. Wünschen und Hoffen ist menschlich. Und deshalb auch riskant. Manchmal führt es dazu, sich selbst zu überschätzen. Manchmal verhilft es einem Technikglauben an die Macht. Man überschätzt sich in dem Glauben, eine gefährliche Technik beherrschen zu können. Selbstüberschätzung, das ist nach alter christlicher Überlieferung das, was mit Sünde gemeint ist. Es gibt allerdings eine Alternative.. Sie heißt Demut.

In Demut anerkennen, dass nukleare Katastrophen permanent möglich sind, auch bei uns vor der Haustür. In Demut anerkennen, dass wir umkehren müssen und dass die Umkehr etwas kosten wird, dass deswegen harte politische Auseinandersetzungen anstehen.

In dem Psalm heißt es: „Ich sorge mich wegen meiner Sünde“. Am Ende dieser Passionszeit 2011 ist mir vor Augen, was Sünde sein kann: die gewaltige Selbstüberschätzung der Menschen. In Japan sind viele zu Opfern dieser Selbstüberschätzung geworden. Für mich heißt das: Wenn wir in Europa umdenken und umkehren, dann ist das auch ein Zeichen der Solidarität mit ihnen.