66 Jahre Hessen
Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an. Mit 66 Jahren, da hat man Spaß daran.
Heute wird Hessen 66 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch, Hessen! Doch – Moment: erst 66 Jahre? Das ist ja noch gar nicht so alt.
Fast jeder fünfte Hesse hat dieses Alter längst erreicht und ist also zu einer Zeit geboren, als es das heutige Bundesland noch gar nicht gab. Denn erst am 19. September 1945 beschloss die damalige amerikanische Militärregierung, viele kleine ehemalige Fürstentümer und ehemalige Freie Reichsstädte in der Mitte Deutschlands zu einem Bundesland zusammen zu fassen.
Das Bundesland ist ein Flickenteppich an unterschiedlichen Dialekten. Versteht jemand von der Bergstraße die Leute richtig gut, die einen der niederdeutschen Dialekte aus dem nördlichen Landkreis Waldeck-Frankenberg sprechen, und umgekehrt? Vermutlich nicht.
Mit Unterhaltungssendungen im Fernsehen wie „Zum Blauen Bock“ mit Heinz Schenk trug der Hessische Rundfunk dazu bei, dass die Hessen so etwas wie ein Wir-Gefühl entwickelten.
Ich selbst bin vor fünf Jahren aus Hamburg nach Frankfurt am Main gezogen. Seit ich im Norden Frankfurts lebe, bezeichne ich mich mit einem Augenzwinkern als Norddeutschen, ich wohne ja nördlich vom Main. Aber wann immer ich mit meiner Frau und den Kindern in Hamburg zu Besuch bin, heißt es: „Die Hessen kommen.“
Wenn wir im Ausland unterwegs sind, sagen wir natürlich, dass wir Deutsche sind. Und manchmal, wenn ich in den USA unterwegs war, ist mir sogar schon herausgerutscht, dass ich Europäer sei. Wenn ich sage, wer ich bin, sage ich auch, wohin ich gehöre. Und zu wem ich gehöre, wem ich mich verbunden fühle. Inzwischen sage schon manchmal: Ich bin ein Hesse.
Das evangelische Magazin chrismon hat für seine Oktoberausgabe eine Umfrage gemacht mit der Frage: Weltbürger, Europäer oder Deutscher – wer sind Sie, als was fühlen Sie sich?
40 Prozent der Befragten gaben an, sie fühlten sich als Deutsche. Halb so viele, also 20 Prozent fühlten sich in erster Linie ihrem heimatlichen Dorf oder ihrer Stadt verbunden. Immerhin 17 Prozent empfanden sich als Europäer.
Aber die wenigsten empfanden als Bürger eines Bundeslandes. Nur in Bayern sagt jeder vierte: Ich bin Bayer, sonst gar nichts.
Wer ich bin? Ich glaube ich bin mal dies, mal das.
Aber eine Antwortmöglichkeit fehlt mir noch. Der Apostel Paulus hat sie als ein Bürgerrecht im Himmel beschrieben. Das heißt, dass man sich mit allen Menschen guten Willens verbunden fühlt. Allen Menschen, die sich nach Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit sehnen, und die bereit sind, sich auch für andere Menschen einzusetzen. Dieses Bürgerrecht ist nicht daran gebunden, aus welchem Dorf, aus welchem Land oder von welchem Kontinent man kommt, oder welche Hautfarbe oder Religion man zufälligerweise hat.
Das Bürgerrecht im Himmel zeigt sich darin, dass man sich hingezogen fühlt, wo Menschen für einander da sind, ohne dass man sich gegen Außenseiter abgrenzen muss: in guter Nachbarschaft, in einem harmonischen Kollegenkreis. Vielleicht kann man so etwas sogar in der Schule erleben, auf der Pflegestation, im Bettenturm eines Krankenhauses und wer weiß wo noch.
Diese himmlische Bürgerschaft ist ein Flickenteppich aus lauter kleinen Inseln, wo das Miteinander funktioniert. Ein bisschen so wie Hessen, das Bundesland, das nun seit 66 Jahren bestens zusammenhält. Jeder weiß ja: Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss. Mit 66 Jahren, ist noch lang noch nicht Schluss.