Vom Frieden erzählen
Geschichten hab‘ ich schon immer geliebt. Als Kind habe ich fasziniert zugehört, wenn meine Oma mir Märchen vorgelesen hat. Als Vater habe ich meinen Töchtern gerne Geschichten erzählt. Als sie selbst lesen konnten, haben sie Harry Potter verschlungen, alle Bände.
Geschichten haben eine magische Kraft
Als Lehrer mache ich die Erfahrung: Geschichten haben eine magische Kraft: Was in eine Geschichte gekleidet daherkommt, erreicht Menschen tiefer und nachhaltiger.
Warum das so ist, habe ich im neuen Buch der Schriftstellerin Joana Osman gelernt. [i] Sie unterrichtet Storytelling, also: Geschichten erzählen. Sie schreibt: „Geschichten … sind das Betriebssystem unseres Denkens. … Durch Geschichten begreifen wir unsere Welt, geben ihr einen Sinn – und uns selbst auch.“
Erzählungen lassen uns zuhören und einfühlen
Fast ein wenig unromantisch bestätigt das die Hirnforschung: Unser Gehirn reagiert auf Geschichten. Es taucht in die Welt der Erzählung ein, als wäre sie unsere eigene Welt. Wir fühlen dann wie Hänsel und Gretel oder Harry Potter und erleben, was sie erleben.
Mehr erzählen von dem, was uns verbindet, und weniger von dem, was uns trennt
Und das wirkt sich aus auf das ganze Leben: Als Friedensaktivistin hat Joana Osman erlebt: Wo Menschen sich gegenseitig ihre persönlichen Geschichten erzählen, können andere oft gar nicht anders als sich in sie hineinzufühlen. Dadurch können sie den anderen besser verstehen und Gräben überwinden. Weil Geschichten so wirkmächtig sind, schließt sie: „Wir müssen mehr erzählen von dem, was uns verbindet, und weniger von dem, was uns trennt.“
Ich glaube: gerade in einer Zeit, in der Geschichten von „den Bösen da drüben“ Angst schüren und die Deutungshoheit gewinnen sollen, braucht es erzählte Geschichten vom Frieden.
Eine Russin und eine Ukrainerin bringen die Menschen ins Gespräch
Eine ist die von Nastia und Yulia. Nastia kommt aus Russland, Yulia aus Dnipro in der Ukraine. Beide mussten wegen des Krieges ihre Heimat verlassen. Zusammen machen sie jetzt Improvisationstheater. So bringen sie auch Menschen aus Russland und der Ukraine ins Gespräch. Sie sagen: „Nach unseren Auftritten sprechen die Menschen miteinander wie am Küchentisch. Sie teilen ihre Geschichten und so entsteht Empathie.“[ii] Vielleicht kennen Sie auch eine Friedensgeschichte. Sie weiterzuerzählen könnte auch ein Schritt zum Frieden sein.
[i] Joana Osman Frieden Eine reale Utopie, München 2025
[ii] www.propeace.de/de/gesichter-des-friedens/yuliia-anastasia