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Clausing, Mareike

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Christus-Gemeinde Dietzenbach

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Sterntaler

„Es war einmal…“: Bei diesen Worten fühlen sich viele in ihre Kindheit zurückversetzt. Das ist wohl der bleibende Zauber von Märchen. Oft als Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen von den Eltern oder Großeltern, war und ist es für Generationen das Abendritual.

Vorlesen - eine gemeinsame Zeit

Auch mir geht es so: Höre ich diese berühmten Anfangsworte, liege ich gedanklich eingemummelt im Bett meiner Mutter. Ich bin alleinerziehend aufgewachsen, meine Mutter war berufstätig. Und so war das allabendliche Vorlesen unsere gemeinsame Zeit. Ich habe mich an sie gekuschelt und gebannt gelauscht, selbst, wenn sie die Geschichte für mich zum 10. Mal vorlas.

Ein Waisenmädchen ganz auf sich allein gestellt

Vor den Hexen in den Märchen habe ich mich oft gefürchtet. Denn selten ist ihnen zu trauen. Vielleicht war und ist mein Lieblingsmärchen deswegen das vom Sterntaler. Es ist ein Märchen ohne Hexen und böse Hintergedanken. In der Geschichte geht es um ein Waisenmädchen, das ganz auf sich allein gestellt ist. Nicht einmal einen Namen hat es in der Geschichte.

Sterntaler gibt buchstäblich sein letztes Hemd

Im Märchen heißt es: ‚Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld.‘[1] Was hat es sich davon wohl erhofft? Auf seinem Weg begegnen dem Mädchen Menschen, die es um Hilfe bitten. Einem armen, hungrigen Mann gibt sie ihr einziges Stück Brot. Einem Kind schenkt sie ihre Mütze, einem anderen ihren Rock. Schließlich gibt es einem dritten Kind sein buchstäblich letztes Hemd. Inzwischen ist es dunkel. Und da geschieht es: Die Sterne fallen wie blanke Taler vom Himmel. Nie wieder muss sich das kleine Mädchen um Geld sorgen, nie mehr frieren oder hungern.

Und ‚was ist die Moral von der Geschicht‘, wie es so schön heißt? Gib alles, dann wird es dir gebührend entlohnt?

Das Märchen vom Sterntaler macht klar: Es geht nicht darum, etwas zu tun, weil ich mir daraus einen Vorteil oder Anerkennung erhoffe. Das Mädchen hilft einfach, bedingungslos und ohne Hintergedanken.

Seinem Gegenüber zum Sterntaler werden

Dabei vertraut sie darauf, dass es schon irgendwie wird. Dieses Vertrauen lässt sie ihren Weg weitergehen, ohne den Blick für Andere zu verlieren. Mich beeindruckt diese Selbstverständlichkeit der Hilfe. Und sie inspiriert mich, selbst darauf zu schauen, wo ich helfen kann und meinem Gegenüber zum Sterntaler werden kann. Ohne Hintergedanken und im Vertrauen darauf, dass Einer es gut mit allen meint.

 


[1] Siehe Grimms Kinder- und Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm, Gesamtausgabe, KHM 153: Die Sterntaler, Kassel 1819.