hr1 ZUSPRUCH
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Lemmer, André

Eine Sendung von

Katholischer Pfarrer in der Pfarrei Sankt Elisabeth in Kassel

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Aufstehen und es wieder versuchen. Das schafft Respekt!

Es ist nun schon über 25 Jahre her, aber ich kann heute noch diese eine Situation beschreiben, als wäre sie gestern gewesen.

Ich sitze als 14-Jähriger mit meinem Blasinstrument in der Turnhalle meines Heimatortes. Weißes Hemd, schwarze Hose und leichenblass vor Aufregung warte ich auf das Zeichen. Mit meiner Kollegin aus dem Blasorchester soll ich vor einer Jury ein Duett spielen. Hinter der Jury sitzt das halbe Orchester und wartet was passiert. Ich bin sehr aufgeregt. Ich weiß, ich habe mich gut vorbereitet und viel geübt. Nur, was ist, wenn ich einen falschen Ton spiele? Ich kann mich nicht in der Masse des Orchesters verstecken, die Augen und Ohren der Jury sind auf nur zwei junge Menschen gerichtet.

Das Zeichen der Jury kommt, wir können beginnen. Bis zum 5ten oder 6ten Takt geht alles gut. Und dann verspiele ich mich. Ich haue so dermaßen daneben, dass ich mich selbst erschrecke welcher Ton da gerade aus meinem Instrument kommt. Starr vor Angst höre ich auf zu spielen. Ich wusste, dass mir das passiert. Vor all meinen Freunden. Und jetzt? Meine Kollegin spielt unbeirrt ihre Stimme weiter, sie hat sich nicht verunsichern lassen, zum Glück. Denn ich kann wieder einsetzen. Ich kann meinen Teil zu Ende spielen.

Einfach weitermachen – und sich nicht beirren lassen

Am Ende des Stückes ist es einen Moment totenstill. Bei Bewertungen soll man nicht gleich klatschen, sondern warten bis die Jury das Zeichen dazu gibt. Ich möchte einfach nur da weg. Ich packe mein Instrument weg und möchte am liebsten direkt nach Hause gehen. Aber ich bleibe und höre mir die anderen Spieler noch an. Am Ende des Tages kommt dann die Verkündung der Punktzahlen. Unser Duett scheint es nicht mal unter die ersten Zehn geschafft zu haben wegen meines Fehlers.

Dann geschieht das Unerwartete. Mein Duett belegt den ersten Platz. Sicher nicht mit voller Punktzahl. Ich kann es nicht glauben und suche das Gespräch mit einem Jurymitglied. Er sagt, es wäre beeindruckend gewesen, dass ich mich wieder aufgerafft habe und dass es nicht nur auf die richtigen Tön ankommt, sondern auf so viele kleine andere Dinge. Die wären sehr gut gewesen und das solle auch honoriert werden.

Manchmal lohnt es sich, sich aufzuraffen und es wieder zu versuchen. Ich glaube auch in den Augen Gottes ist das wichtiger, als perfekt zu sein.