hr1 ZUSPRUCH
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Grützner, Kurt

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel

Menschenwürde ohne Religion?

Menschenwürde ohne Religion?

„Was glauben die Hessen?“ hat der hr Ende Januar gefragt. „Die Hessen finden die Kirchen gut. Aber über ihre Religion wollen sie selbst entscheiden.“ So das kurz und knapp zusammengefasste Ergebnis. Ich habe es zuweilen mit Menschen zu tun, die wissen eigentlich gar nichts über die Kirche. Sie sitzen im Hörsaal vor mir. Ich bin ihr Polizeipfarrer und habe an der Hochschule der Polizei Ethik zu lehren. Sie kommen aus Städten wie Chemnitz, Zwickau, Magdeburg oder Erfurt. Mit einer Kirche sind sie in ihrem jungen Leben noch nie in Berührung gekommen. Religion ist ihnen ein Buch mit sieben Siegeln. Die brauchen sie nicht und wollen sie nicht. Und das respektiere ich.

Die Menschenwürde zu wahren ist aber der höchste Wert, dem sie verpflichtet sind, und der schwierigste zugleich. Schließlich erleben unsere Polizisten genug Menschenunwürdiges. Nicht selten werden auch sie selbst menschenunwürdig behandelt, nicht nur von Schwerverbrechern. Da sollen sie wissen, was die Würde des Menschen ist, wo sie herkommt und worin sie begründet ist. Das ist auch Thema im Ethikunterricht. Einer der Studenten aus den genannten Städten fragte mich, den Pfarrer: „Ist es für religiöse Menschen eigentlich einfacher, die Würde des Menschen zu begründen?“ Seine Frage war ernst gemeint. Das verriet sein Gesicht. Über sein ehrliches Interesse habe ich mich gefreut. „Christen“, habe ich ihm geantwortet. „sehen in jedem Menschen das Ebenbild Gottes“, denn: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. (1Mo 1,27)

Er wird meine Antwort nicht zu der seinen machen können. Das weiß ich und das war auch nicht meine Absicht. Die Frage aber blieb im Raum: Worin begründet sich eigentlich die Würde des Menschen – ohne Religion? Wir haben uns nicht selbst erschaffen. Wir wurden geboren. Und wir können uns nicht selbst erhalten. Wir werden sterben. Würde haben wir nicht aus uns selbst. Sie wird uns von außen zugesprochen. Christen sagen: von dem menschgewordenen Gott.