hr1 ZUSPRUCH
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Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

Eine feste Burg gegen Willkür

Eine feste Burg gegen Willkür

Gleich zweimal habe ich mich diese Woche geärgert, und zwar über Gesetze. Warum darf die Hochspringerin Ariane Friedrich nicht laut sagen, wer sie unanständig belästigt? Warum werden die nachträglich entschädigt, die Menschen geschädigt und dafür lang im Gefängnis gesessen haben? Ich merke, dass Gesetze ein Ärgernis sein können. Und das gleich zweimal. Sich ärgern ist mir wichtig. Nicht einfach hinnehmen, nicht nur den Kopf schütteln und weitergehen. Wenn ich mich ärgere und nicht weiter weiß, habe ich einen kleinen Trick. Ich frage mich einen langen Moment lang: Könnte es womöglich sein, dass die anderen Recht haben? Kann es sein, dass mein Ärger unberechtigt ist? Es darf ja auch nicht alles nach meinem Kopf gehen. So schön das wäre für mich, so furchtbar würde es für andere sein. Sollten am Ende doch die anderen Recht haben?

Je länger ich nachdenke, desto klarer erkenne ich: Das Recht muss auch für Unanständige gelten. Was immer sie tun, auch für sie ist das Recht da. Die erste Ausnahme wäre schon der Anfang der Willkür. Man darf niemanden an den Pranger stellen, damit alle mit Fingern auf ihn zeigen können. Man hat das Recht auf Entschädigung, wenn man zu lange im Gefängnis saß. Das Recht ist unteilbar, Gott sei Dank. Viele in unserem Land haben ja erlebt, was es bedeutet, wenn willkürlich gerichtet und Recht gebrochen wird. Wenn heute dies gilt und morgen etwas anderes. Das ist nur grausam. Nein, der Rechtsstaat ist ein großes Glück, auch wenn er mir weh tut. Er ist ein Geschenk Gottes, für das ich dankbar sein muss.

Selbst die haben alle Rechte, die das Recht brechen. Auch wenn ich das ungerecht finde - es ist ein Glück. Wie eine feste Burg gegen die Willkür. Das gleiche Recht für alle muss uns heilig sein. Selbst wenn ich mich ärgere - der gerechte Staat bleibt ein Geschenk des Himmels.