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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Zwei Karten fürs Theater

Zwei Karten fürs Theater

Die guten Ideen liegen auf der Straße. Man muss sie nur finden. Und wenn sie jemand gefunden hat, breiten sie sich aus in Windeseile. So geht es zur Zeit mit der Idee der Kulturloge. Noch nicht einmal ein Jahr alt ist die Kulturloge, so heißt der Verein in Marburg, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen den Besuch von kulturellen Veranstaltungen zu ermöglichen. Und zwar Menschen, die wenig Geld haben und die es sich nicht leisten können, für Konzertkarten oder eine Theateraufführung oder eine Dichterlesung zu bezahlen. Das Grundprinzip kennen wir von den Tafeln, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Dort sind es Lebensmittel, die nicht verkauft worden sind. Hier sind es Eintrittskarten, die noch zur Verfügung stehen. Das heißt: viele leere Plätze in den Sälen und Theatern. Warum sollen auf diesen Plätzen nicht Menschen sitzen und sich an kulturellen Angeboten erfreuen, obwohl sie es sich finanziell nicht leisten können?

Das war die Grundidee der Initiatorinnen. Dabei ist es der Kulturloge besonders wichtig, dass bedürftige Menschen nicht als Bittsteller bloßgestellt werden. Deshalb melden sich an Kultur interessierte Menschen mit wenig Geld bei den Institutionen und Initiativen an, zu denen sie ohnehin Kontakt haben, zum Beispiel bei der Tafel. Und die Mitglieder des Vereins sorgen dann dafür, dass freie Plätze an interessierte Bewerber vermittelt werden. Die Karten sind beim Veranstalter hinterlegt und werden dort abgeholt. Allein in Marburg haben sich 600 interessierte und bedürftige Personen angemeldet, 1500 Karten wurden vermittelt, berichtet Hilde Rektorscheck, die Vorsitzende des Vereins. Und die Idee breitet sich aus. In vielen deutschen Großstädten sind inzwischen Kulturlogen entstanden.

Eine Frau war zum ersten Mal seit vielen Jahren im Theater. Sie erzählt: „Ich bin so stolz. Wie lange habe ich es nicht erlebt, an die Theaterkasse zu gehen und einfach nur zu sagen: Mein Name ist Müller. Für mich sind zwei Karten reserviert. Niemand fragt nach Ausweis oder Bescheinigung. Ich bin eine Besucherin wie jede andere. Das tut so gut.“

Der Mensch lebt nicht nur von dem, was er isst und trinkt. Er braucht auch Nahrung für die Seele. Und diese Nahrung wird seiner Seele gut tun, wenn er oder sie sich nicht als Almosenempfänger fühlen muss, mit flehendem Blick und ausgestreckten, bittenden Händen. Wenn die Würde des Menschen geachtet wird, dann ist das die köstlichste Nahrung für seine Seele.