Stark sein
Er ist jung und mächtig. Sein Auftreten beeindruckt die Welt. 1960 wird er mit 43 Jahren zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt: John F. Kennedy. Nur drei Jahre später fällt er einem Attentat zum Opfer. Die Welt ist schockiert. Was zunächst kaum jemand wusste: John F. Kennedy war einer der kränksten Präsidenten. Das wurde geheim gehalten. Der mächtige Mann durfte keine Schwächen haben – zumindest nicht vor den Augen anderer. Ein verdecktes Stützkorsett sollte ihm die öffentlichen Auftritte erträglicher machen. Doch dieses Korsett verhinderte, dass er den tödlichen Schüssen ausweichen konnte. Was Kennedy stark erscheinen lassen sollte, wurde ihm schließlich zum Verhängnis.
Menschen, von denen Stärke erwartet wird, setzen viel daran, ihr Schwächen zu verbergen. Da gilt es zu lächeln, wo einem schon lange nicht mehr nach Lächeln zumute ist, werden Kräfte vorgetäuscht, die man längst nicht mehr hat, wird sich unter Schmerzen verausgabt. Das Bild nach außen muss stimmen, um im Spiel zu bleiben. Der Schwache muss dem Starken weichen. Das ist ein altes und bisweilen unbarmherziges Gesetz. Doch wie schnell kann vorgetäuschte Stärke zum Verhängnis werden! Sie schränkt mich ein, macht mich zu einer Zielscheibe für andere.
Doch ich kann nicht nur stark sein. Ich weiß um meine Schwächen und Fehler. Natürlich will ich die nicht vor jedem ausbreiten. Aber es gibt Menschen, denen ich vertraue. Bei ihnen darf ich so sein, wie ich bin. Da muss ich weder eine Maske noch ein Stützkorsett tragen. Ich muss keine falsche Stärke vortäuschen, und werde dennoch akzeptiert oder geliebt. Das tut gut und stärkt mich sogar trotz meiner Schwächen. Ich muss nicht versuchen, perfekt zu sein. Vor allem nicht vor Gott. Vor ihm darf ich sein, wie ich bin. Wenn ich ihm meine Schwachpunkte zeige, dann schaut er nicht vernichtend, sondern liebevoll und sagt: Ich meine es gut mit dir, und wo du schwach bist, bin ich stark für dich (nach 2. Korintherbrief, Kapitel 12, Vers 9). Geliebt und angenommen zu sein, wie ich bin – das gibt mir den Halt und die Stärke, auf die es ankommt.