Ein Kriegsfriedhof als Lernort
Einmal im Jahr geht der Kunstprofessor mit seinen Studierenden auf den Italienischen Kriegsfriedhof im Norden von Frankfurt. Die Studierenden können hier etwas lernen über die Gestaltung von öffentlichen Räumen, meint der Professor. Er zeigt ihnen die moderne Trauerhalle des Friedhofs.
Und dann die große, weite Rasenfläche. Gut gepflegt, mit Büschen und Bäumen umstanden, an der einen Seite ein großes Kreuz und ein Tisch davor, für christliche Gottesdienste nutzbar. Schließlich rundherum an den Rändern die vielen kleine Steintafeln, die sich kaum vom Boden absetzen. Jede Steintafel zeigt jeweils ein Grab. Etwa 5000 dieser kleinen Steintafeln zählt man auf diesem Friedhof.
Die Studierenden fertigen Skizzen an, sie überprüfen die Materialien der Gedenktafeln, und versuchen, die landschaftsgärtnerische Gestaltung zu erfassen – bis sie schließlich nach und nach anfangen, die Namen und Inschriften auf den kleinen Steintafeln zu lesen
„Warum liegt denn hier ein Kind?“ fragt eine Studentin: Bambino Roberto Pagni, geboren 1944 gestorben 1945. Der Professor und die Studenten bleiben stehen, überlegen, schweigen, gehen schließlich langsam weiter. Und da ein Grabstein mit einem Foto darauf, Soldato Marco Crunna zusammen mit seiner jungen Familie. Und gleich in der Nähe Lavoratrice Irene Calciuti, gestorben 1944 mit 36 Jahren.
„Lavoratrice“ bedeutet Arbeiterin. Und wie und wo ist diese Arbeiterin gestorben? Warum liegt sie auf einem Kriegsfriedhof? Warum überhaupt wurden, am Ende des zweiten Weltkriegs verstorbene Italiener hier beerdigt? Auf dem Friedhof selbst erfährt man nichts über die Schicksale. Offenbar wurden sie als Kriegsgefangene nach Deutschland gebracht, wo man sie zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gezwungen und teilweise zu Tode gequält hat.
Der Friedhof im Norden von Frankfurt – im Stadtteil Westhausen – wird immer mehr zu einem Lernort für den Professor und seine Studierenden. Ein Lernort auch, um zu erfassen, was Krieg mit Menschen macht.
Heute am Antikriegstag sollte man einen Moment innehalten.
Denn Krieg tötet wahllos – auch heute.