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Rudolff, Claudia

Eine Sendung von

Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel

Die zweite Chance

Die zweite Chance

„Die zweite Chance" ist für mich eines der wichtigsten Dinge im Leben. Wir brauchen sie, wenn Vertrauen verloren gegangen ist und Enttäuschungen vorherrschen. Besonders in Partnerschaften ist die zweite Chance wichtig. Die Chance besteht darin, aus Fehlern zu lernen und Konsequenzen zu ziehen.

Dazu geht mir eine Geschichte aus der Bibel nicht aus dem Sinn: Mose kam vom Berg Sinai nach 40 Tagen zurück und hatte auf zwei Steintafeln die zehn Gebote von Gott erhalten, Gebote für ein gutes Zusammenleben seines Volkes. Aber das Volk Israel hatte sich in der Zwischenzeit von Gott abgewandt und sich ein goldenes Kalb gegossen. Das sollte ihr neuer Gott sein. Endlich hatte die Menschen einen Gott zum Anfassen, den man vor sich hertragen konnte und der vorzeigbar war. Vor Wut darüber, dass sich das Volk von Gott abgewandt hatte, zerstörte Mose die beiden Tafeln. Gott, so wird erzählt, war so wütend, dass er sein Volk Israel vernichten wollte. (2. Buch Mose. 32,10). Trotz seiner eigenen Enttäuschung ging Mose das zu weit. Um Gott zu besänftigen, geriet Mose in die Rolle des Fürsprechers des Volkes. Er wurde zum Schlichter, indem er Gott um Vergebung bat und ihn an seine Zusagen gegenüber dem Volk Israel erinnerte. Die Geschichte endet so, dass Gott aus Liebe und Freiheit dem Volk eine „zweite Chance" gibt. Die Israeliten nahmen sie auch dankbar wahr und änderten ihr Verhalten.

Für mich sind an dieser Geschichte zwei Dinge wichtig: Versöhnung ist demnach die Voraussetzung für die „zweite Chance". Die „zweite Chance" fällt uns im Leben oftmals zu. Wir erhalten sie aber nur, wenn andere uns verzeihen und alle Beteiligten einen Schritt aufeinander zu machen. Aber für die zweite Chance muss ich auch etwas tun. Einerseits muss ich sie annehmen und ergreifen, andererseits stellt sie mich in die Verpflichtung, meine Einstellung und mein Verhalten zu ändern. Die „zweite Chance" heißt also auch: Arbeit an sich selbst, und die eigenen Fehler nicht anderen anzulasten. Ich bin davon überzeugt: Ohne die zweite Chance würde dem Leben etwas Entscheidendes fehlen.