Weihnachten im Wochenbett
Früh am Morgen. Kaffee in der Hand. Draußen ist es noch dunkel. Ich habe mir eine Kerze angemacht. Es ist still um mich herum. Heiligabend liegt hinter mir. Das große Ereignis ist vorbei. Die Aufregung, die Bescherung. Jetzt beginnt die Weihnachtszeit.
Weihnachtsruhe und Familienzeit – den ersten Feiertag genießen
Im Spülbecken stapelt sich das Geschirr von gestern. Aber ich finde, das kann warten. Überhaupt: Ich lass es heute langsam angehen. Das Essen für nachher ist vorbereitet. Soweit als möglich. Die Gans kommt in den Ofen, der Kloßteig liegt bereit und der Rest muss nur noch warm gemacht werden.
Dieser Tag gehört mir: mir und meiner Familie. Wir könnten spazieren gehen. In die Kirche zum Gottesdienst. Und später etwas spielen. Musik hören.
Warum der erste Weihnachtstag so besonders ist
Ich liebe diesen ersten Weihnachtstag. Er hat eine besondere Ruhe. So eine Art heilige Zwischenzeit. Die Hektik der Vorweihnachtszeit ist vorbei. Das „O du fröhliche" von gestern klingt nach. Der Alltag ist noch weit weg.
Die lesende Maria – Ein Bild der Ruhe
Ich glaube, ich lege heute einfach die Beine hoch. Kuschel mich in eine Decke und lese mein neues Buch. So wie Maria. Die Mutter von Jesus. Auf einem meiner Lieblings-Weihnachtsbilder.
Es ist über fünfhundert Jahre alt und trägt den Titel „Maria legens" Das heißt: die lesende Maria. Es ist eine französische Buchmalerei aus dem 15. Jahrhundert. Was auf dem Bild zu sehen ist? Maria liegt in einem Bett. Eine rote Decke wärmt sie. Sie hat ein Buch in der Hand. Sie sieht etwas müde aus. Und zufrieden. Vorne sitzt Josef. Er hält das Neugeborene im Arm. Ochs und Esel schauen ihm über die Schulter.
Moderne Botschaft in alter Kunst – Maria und Josef im Wochenbett
Es ist eine ungewöhnliche Krippendarstellung. Maria nimmt sich Zeit. Sie tut etwas für sich. Me-Time auf dem Weihnachtsbild. Und Josef? Der übernimmt die Care-Arbeit. Er hält sein Kind. Flüstert ihm leise etwas ins Ohr. Gibt seiner Frau Raum und Zeit, um in ihrem Leben als Mutter anzukommen.
Irgendwie sieht das Bild sehr modern aus. Finde ich. Ist es aber eigentlich nicht. Denn Maria macht genau das, was Frauen nach einer Geburt brauchen: Sie erholt sich im Wochenbett.
Musik
Das Wochenbett. Diese erste, wichtige Zeit nach der Geburt. Was ist das eigentlich genau? Ich habe mit Moira gesprochen. Sie ist Hebamme.
Sie sagt: „Vor dem Wochenbett habe ich Respekt. Das ist schon sehr besonders. Irgendwie existentiell. Im Wochenbett steht die Zeit still. Da kommen alle erst einmal an. Der Körper, die Seele, die kleine Familie. Alles ist fremd. Alles ist neu.“
Prominente Erfahrungen – Carolin Kebekus über das Wochenbett
Das Wochenbett kennen viele Frauen. Ich zum Beispiel. Und auch Carolin Kebekus. Sie ist Komikerin und hat im letzten Jahr ihr erstes Kind bekommen. Davon erzählt sie bei ihren Bühnenshows und in ihrem neuen Buch. Sie spricht aus, was viele Frauen erleben, aber selten so offen sagen: „Ich hatte vorher nicht gewusst, was für ein krasser Zustand das Wochenbett ist."
Sie erzählt von diesem Moment im Krankenhaus. Nach der Geburt. Als die Ärzte sagen: „So, tschüs, hier ist das Baby, haben Sie Ihre Tasche?" Und man geht nach Hause. Mit einem kleinen Menschen, der nichts kann. Kebekus sagt: „Ich hatte so das Gefühl: kommt die Frau Doktor denn heute Nacht nicht noch mal gucken?"
Übersehen wir das Danach? – Weihnachten und das Wochenbett
Wenn ich ihr zuhöre, denke ich: Ja, das Wochenbett ist eine krasse Zeit. Wir reden unheimlich viel über die Geburt. Aber wenig über das Danach. Wir feiern das Kind. Aber vergessen oft die Frau.
Mir ist aufgefallen: Genau das passiert auch an Weihnachten. Wir reden über das Baby, das geboren wurde. Das Christkind. Wir lieben die Geschichte, die dazu gehört. Mit allem Drum und Dran. Engel, Hirten, Schafe, Ochs und Esel.
Aber wer redet über das Wochenbett? Über das danach? Dabei steht es in der Weihnachtsgeschichte: Der Evangelist Lukas beschreibt es in genau einem Satz. Ganz am Ende. Die Hirten sind schon wieder auf dem Weg nach Hause. Er schreibt: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen." (Lukasevangelium 2,19)
"Im Herzen bewegen" – eine Pause nach dem Wunder
"Im Herzen bewegen". Langsam Ankommen bei dem, was neu ist. Nicht sofort reagieren. Erstmal begreifen, was passiert ist. Behutsam kommt Maria in ihrem neuen Leben als Mutter an. Zwischen Erschöpfung und Staunen. Zwischen Schmerz und Liebe. Zwischen Blut und Milch und diesem unfassbaren Wunder eines neuen Lebens.
Zwischen den Jahren – Eine Wochenbett-Zeit
Das Wochenbett dauert sechs bis acht Wochen, sagt Moira. Die Hebamme. Die Weihnachtszeit genauso, sage ich. Traditionell bis Anfang Februar. Aber wer feiert schon so lange? Ich nicht. Trotzdem: Ein bisschen Wochenbett-Zeit haben wir alle. Die paar Tage zwischen Weihnachten und Neujahr. "Zwischen den Jahren" sagen wir dazu. Und das trifft es ja auch: Zwischen dem Alten und dem Neuen. Zwischen Loslassen und Ankommen.
Musik
Solche Zeiten zwischen dem Alten und dem Neuen kenne ich. Nicht nur zwischen Weihnachten und Neujahr. Auch sonst im Leben. Nicht alle sind so existentiell wie die Zeit nach einer Geburt. Aber sie brauchen trotzdem Aufmerksamkeit.
Neuanfang im Job – Wie gelingt ankommen?
Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Tag im neuen Job. Ich saß an meinem Schreibtisch. Ich wusste weder, wie die Kaffeemaschine funktioniert, wo der Drucker steht, noch wo die Toilette ist. Meine Kolleginnen und Kollegen haben mir beim Ankommen geholfen. Mir alles Wichtige gezeigt. Sie haben meine Fragen beantwortet und mir Raum gegeben. Ich musste nicht gleich funktionieren. Das war gut. Und ich? Ich habe die Hilfe angenommen und mir Zeit gelassen. Gutes „Onboarding" nennt man das heute.
Aber ehrlich? Leicht gefallen ist mir das nicht. Ich bin oft sehr ungeduldig. Ich will schnell reinkommen in neue Aufgaben und Lebenssituationen. Schnell alles verstehen. Dazu gehören.
Aber das funktioniert nicht. Nicht immer zumindest. Weil Ankommen Zeit braucht. Weil ich mich erst zurechtfinden muss. Weil ich verstehen muss, wie Dinge laufen. Spüren, ob ich hier richtig bin.
Übergangszeiten im Leben – Vom Loslassen zum Neubeginn
Das gilt nicht nur für den neuen Job. Das kenne ich auch von anderen Übergängen. Beim Umzug in eine neue Stadt zum Beispiel. Nach einer Beziehung, die endet. Oder nach einem Abschied, der noch weh tut. All das sind Übergangszeiten. Zwischen-Zeiten. Wochenbett-Zeiten. Zeiten, in denen ich das, was war und was wird, "im Herzen bewegen" muss.
Weihnachten als Neubeginn
Genau darum geht es an Weihnachten. Der erste Weihnachtstag ist kein Ausklang. Er ist ein Anfang. Heute beginnt eine Wochenbett-Zeit. Für diese Welt. Für alle.
Und auch für Gott selbst. Gott kommt zur Welt. Nicht als fertiger Onboarding-Plan. Nicht in Macht und Herrlichkeit. Sondern als Kind. Als winziges, schutzbedürftiges Leben, das Zeit braucht. Das gefüttert werden muss. Das weint. Das in den Arm genommen werden möchte. Das angewiesen ist auf die Fürsorge und Liebe anderer.
Die lesende Maria heute – Raum geben und Raum nehmen
Auf meinem Lieblingsweihnachtsbild mit der lesenden Maria sehe ich, wie das gehen kann. Josef nimmt das Baby. Vielleicht spült er später das Geschirr. Er ist da, ohne zu drängen.
Maria nimmt sich die Zeit, die sie braucht. Sie bewegt in ihrem Herzen, was geschehen ist.
Beides braucht es für gute Übergänge. Menschen, die Raum geben. Und Menschen, die Raum annehmen.
Weihnachten neu fühlen
Für mich heißt das heute: Ich lege die Beine hoch. Lese mein Buch. So wie Maria auf jenem alten Bild. Draußen wird es langsam hell. Die Kerze brennt noch. Der Kaffee ist inzwischen kalt geworden. Macht nichts. Ich atme durch. Und achte auf das, was mein Herz bewegt. Es ist Weihnachten. Und es fängt gerade erst an.