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Mantey, Kathrin

Ein Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Marburg

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Hab Vertrauen

Angst kann genauso schnell verfliegen, wie sie gekommen ist. Das habe ich zuletzt in unserem Urlaub in Südengland erlebt. Es begann alles ganz harmlos mit einer Fahrt an der Küste entlang. Fast wie in einem Rosamunde Pilcher-Film liegen das kristallklare Meer und malerische Klippen vor uns. Vereinzelt sehen wir sogar Palmen und Feigenbäume. Dahinter erstrecken sich bis zum Horizont sanfte grüne Hügel.

Von der Angst im Straßenverkehr

Alles hätte so schön sein können, wäre da nicht der Straßenverkehr gewesen: Schon allein auf der linken Seite zu fahren, fühlt sich für mich nicht gut an. Als dann aber die ersten Dorfsträßchen kommen, die so steil und eng sind, dass man dort am besten niemandem begegnet, tritt mir der Angstschweiß auf die Stirn: Gleich mehrere Autos kommen uns entgegen. „Wie soll denn hier überhaupt jemand durchpassen?“ will ich gerade rufen, da sehe ich, wie das erste Auto auf der Gegenseite anhält.

Rücksichtnahme lässt die Angst verfliegen

Der Fahrer hebt freundlich die Hand – und lässt mich durchfahren. Ist knapp, aber passt! Und eigentlich ganz einfach, merke ich. In den nächsten Tagen wird uns das immer wieder passieren: Kurzer Blick, nettes Winken und selbst steile und enge Straßen machen mir keine Angst mehr. Allein diese  rücksichtsvollen Gesten lassen meine Angst verfliegen. Am Ende erschrecken mich auch die Doppeldecker-Busse nicht mehr, die uns entgegenkommen. Nach menschlichem Ermessen passen sie auch allein keinesfalls durch diese engen Kurven! Aber ich lerne: Es ist zwar knapp, aber es geht! Und so schaue ich aus dem Fenster und genieße den Ausblick!

Oft kommt es auf die Umstände an

Wie anders, frage ich mich, wäre unser Urlaub wohl verlaufen, wenn der durchschnittliche englische Autofahrer nicht so rücksichtsvoll wäre? Wenn wir es an den brenzligen Stellen mit gestressten Dränglern zu tun gehabt hätten? Mit Leuten, die auf Teufel komm raus nur an die eigene Vorfahrt denken? So entspannt wäre ich dann jedenfalls nicht gewesen – und hätte längst nicht so viel sehen und genießen können.

Angst und Anspannung nehmen viele von uns gefangen

Denn wenn ich Angst habe, „mache ich zu“. Angst und Anspannung nehmen viele von uns gefangen und machen uns weniger aufnahmefähig. Gut, dass manchmal schon ganz kleine Gesten reichen, um uns die Angst zu nehmen. Und vielleicht sind Gesten und Taten das Allerwichtigste gegen die Angst. Manchmal sogar wichtiger als viele Worte.

Musik 

Gesten und die Unterstützung von anderen stärken unser Vertrauen. Das klingt erstmal einfach, ist es aus psychologischer Sicht aber nicht. Das erklärt mir eine Freundin, die eine erfahrene Psychotherapeutin ist. Sie erinnert sich bei dem Thema Angst und Vertrauen an ihre Ausbildungszeit:

Wodurch wird Vertrauen aufgebaut?

„Die Frage danach, wie Vertrauen entsteht und was Vertrauen schafft, hat mir damals wirklich die Augen geöffnet“, erzählt sie. „So wie die meisten Menschen habe ich ursprünglich gedacht, es käme vor allem auf das Selbstvertrauen an. Vertrauen in mich selbst, in meine Fähigkeiten und mein Wissen, um möglichst alles im Griff zu haben. Aber dann habe ich gelernt: Vertrauen ist wie ein Netz und das Vertrauen zu mir selbst ist davon nur ein Teil.“

Kommt es nur auf mich an?

Im Rückblick findet meine Freundin diese Erkenntnis besonders wichtig. Denn sie erlebt, wie Menschen in der Leistungsgesellschaft vor allem sich selbst im Blick haben. Zu wenig darauf achten, mit wem oder mit was sie eigentlich verbunden sind. Sie sagt: „Viele Klienten haben dieses Bild im Kopf: Es kommt auf mich an. Ich bin der Macher oder die Macherin meines Lebens. Das kann aber zu einem furchtbaren Druck werden. Und dadurch schwindet mit der Zeit das Vertrauen in sich selbst.“

Vertrauen wächst im Zusammenspiel mit anderen

Aus ihrer Sicht gibt es dafür folgende Lösung: Für unser Vertrauens-Netz spielt es eine wichtige Rolle, dass wir niemals völlig losgelöst von anderen existieren. Von klein auf sind wir eng mit anderen verbunden und auf andere angewiesen. Um Vertrauen zu entwickeln und darin zu wachsen, müssen wir es zusammen mit anderen erleben. Eine vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern hilft beispielsweise Kindern, sich sicher zu fühlen und dann auch Selbstvertrauen zu entwickeln.

Auch mir als Erwachsene bleiben Beziehungen wichtig, in denen ich das Gefühl habe, dem oder der anderen wirklich vertrauen zu können. Das passt sogar zu meiner Urlaubs-Erfahrung: Meine Angst ist dadurch verschwunden, weil ich Vertrauen zu den anderen Verkehrsteilnehmenden gefasst habe.

Vertrauen in etwas Höhres, das Schicksal oder Gott

Schließlich gibt es beim Thema Vertrauen aber noch einen dritten wichtigen Strang: das Vertrauen in etwas „Höheres oder Größeres“. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass man „dem Leben vertraut“ oder zuversichtlich ist, dass es „das Schicksal es gut mit uns meint“. Für manche hat es nicht unbedingt etwas mit Religion zu tun. Für gläubige Menschen geht es beim Vertrauen in etwas Höheres um Gott.

Erst alle drei Stränge zusammen machen das Vertrauens-Netz vollständig: das Vertrauen zur mir selbst, zu anderen und zu etwas unendlich Größerem.   

Musik 

Für mich als Christin ist der dritte Strang im Vertrauens-Netz keine ferne „höhere Kraft“. Die Bibel redet von Gott auf sehr unterschiedliche Weise, zum Beispiel in den Geschichten von Jesus und wie er den Menschen begegnet.

Petrus hat Jesus vertraut

In einer dieser Geschichten trifft er den Fischer Petrus, der frustriert ist, weil er nichts gefangen hat. Jesus macht ihm Mut und sagt: Fahr nochmal raus, Petrus und wirf nochmal deine Netze aus. Auch wenn es deiner Erfahrung und aller Wahrscheinlichkeit widerspricht. Vertrau mir einfach. Petrus hört auf ihn – und macht den Fang seines Lebens! (Lukas 5,1-11)

In vielen Geschichten hilft Jesus Menschen Sorgen, Ängste und Krisen zu überwinden

So gibt es viele Geschichten, wie Jesus immer wieder Menschen hilft, ihre Sorgen, Ängste und Krisen zu überwinden. Durch ihn gewinnen sie neues Vertrauen. Ja, nicht nur das. Viele Menschen verspüren durch ihn ein ganz neues Lebensgefühl! Trotz ihrer Nöte und Krisen fühlen sie sich plötzlich irgendwie befreit und hoffnungsvoll. Sie empfinden eine solche Veränderung, dass sie über ihr bisheriges Leben kritisch nachdenken und neue Wege gehen.

Die befreiende Wirkung von Vertrauen

Jesus selbst sieht seine Aufgabe bei den Menschen so: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben." (Johannes 10,10) Er ist da, damit wir nicht in unseren Sorgen und Ängsten gefangen bleiben, sondern „das Leben in Fülle haben“. Dazu gehört das Vertrauen, das er schafft. In schwierigen Situationen kann es regelrecht befreiend wirken.

Auch anderen Menschen kann man Grund zum Vertrauen geben

Ein bisschen ist das wie in meinem England-Urlaub: Da, wo nichts zu gehen scheint, winkt mir jemand zu und lässt mir die Vorfahrt. Nur eine kleine Geste, aber durch sie komme ich in Bewegung und verliere die Anspannung. Ich kann wieder raus ins Leben schauen und offen sein für meine Umwelt.

Für mich bleibt aus dieser kleinen Begebenheit: Angst zu verlieren und Vertrauen zu gewinnen ist etwas Wunderbares! Und: Ich kann selbst darein investieren. Wenn es eng wird, lasse ich jetzt gerne auch mal anderen die Vorfahrt. Kurzer Blick, nettes Winken, passt schon!

Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben

Diese Bewegung möchte ich auch an anderen Stellen in meinem Leben haben, in den Situationen, in denen es dort eng wird: Wenn ein Konflikt alles lahmlegt oder ein Problem die Lebensstraße verstopft. Ich werde Ausschau halten nach den Menschen, die mir in solchen Momenten zur Seite stehen. Und ich möchte aufmerksam sein, wo andere meine Hilfe brauchen, um durch Engpässe hindurchzukommen. Ich werde dann an den Wink von Jesus denken: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben." Hab Vertrauen!