Weihnachtsgeschichte Teil 2
Die Weihnachtsgeschichte geht weiter. Mit der Geburt des Jesuskindes im Stall ist es wie mit dem wirklichen Leben: die Nachricht von der Geburt eines Kindes entzückt alle, es gibt jede Menge Glückwünsche und viele, die das Baby mal sehen wollen. Doch für die junge Familie geht der Stress jetzt erst los. Der Alltag, den die beiden bisher hatten, ist komplett auf den Kopf gestellt. Sie tragen die Verantwortung nicht nur für sich, sondern jetzt für ein kleines, vollkommen hilfloses Wesen.
Das ist für Eltern bis heute eine Riesen-Herausforderung. Und das war es auch für Josef und Maria. Als erstes gehen sie mit ihrem Baby nach Jerusalem. Dort wollen sie im Tempel Gott danken für die Geburt ihres Kindes. Dort kommt es gleich zu einer besonderen Begegnung mit einem alten Mann, der kurz danach stirbt. (Lukas 2,22-35) Wir kennen ja bis heute die Redensart: Ein Leben kommt, ein Leben geht. In vielen Familien hat es sich schon zugetragen, dass eine sehr alte Tante oder ein Urgroßvater gerade in der Zeit starb, als ein kleines Kind in der Familie zur Welt kam.
Das ist traurig, aber doch auch bewegend. Wir wissen ja alle, dass wir nicht ewig leben. Und mit der Ankunft eines Kindes wird die uralte Erkenntnis bestätigt, dass das Leben für die anderen weiter gehen wird. Der alte Mann, der Jesus kaum eine Woche nach seiner Geburt begegnet, heißt Simeon. Er war „fromm und gottesfürchtig“, so heißt es im Lukasevangelium. Und er hatte den festen Glauben, dass er nicht sterben würde, bevor er das Heil Gottes gesehen hätte.
Bis heute ist es oft so, dass Großeltern einen festen Glauben haben. Manchmal verstehen die Jungen das nicht. Aber oft kann man nur Respekt davor haben, was viele Ältere im Laufe ihres Lebens durchmachen, wie sie lernen, damit fertig zu werden und nicht aufgeben. Für viele hat genau das auch mit ihrem Glauben zu tun. Der Glaube an Gott kann sogar etwas sein, das Jüngere besonders beeindrucken kann.
So einen Glauben hatte Simeon. Darum galt er auch als Prophet, weil wohl vielen damals wichtig war, was die ältesten Familienmitglieder wussten und sagten. Wie es der Zufall wollte, war er genau gleichzeitig mit der jungen Familie im Tempel. Das heißt, Simeon glaubte natürlich, dass Gott ihn dahin geführt hatte und viele, die von dieser Begegnung später hörten, auch. Es musste einfach so sein, dass diese beiden sich begegneten. Und die Begegnung von dem kleinen Baby mit dem alten Mann hatte es in sich.
Der alte Mann Simeon ist für die Weihnachtsgeschichte wichtig. Simeon sieht das Kind, er nimmt es in den Arm und spürte, wie eine tiefe Freude ihn erfüllt. Denn er verbindet das neugeborene Kind mit dem, was er in seinem Leben gehofft hat. Simeon steht im Strom der Generationen ganz am Ende seiner Lebenszeit. Und er verknüpft sich mit der Hoffnung, die mit Jesus in die Welt gekommen ist. Darum sagt er einen Satz, der vielen in Erinnerung geblieben ist. Er sagt: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“
„In Frieden fahren lassen“ ist eine tröstliche Formulierung für das Sterben. Sie drückt aus, was sich viele Menschen wünschen, tief in ihrem Herzen. Sie möchten, bevor sie „in Frieden fahren“, noch etwas Bestimmtes sehen, etwas sagen, mit einem Menschen sprechen, der ihnen wichtig ist. Dann können sie loslassen. Aber auch erst dann. Simeon hat nun gesehen, wonach er sich aus tiefstem Herzen gesehnt hat. Er kann in Frieden sterben.
Auch das gehört zur Weihnachtsgeschichte, denn mit der Geburt ist nicht noch nicht alles erzählt. Jemand muss auch erkennen, wer dieses Kind ist. Simeon erkennt Jesus als Gottessohn, er nennt ihn „Heiland“. Heiland ist ein altes deutsches Wort, es bedeutet „Heilbringer“ oder „Erretter“. Es hängt mit dem Wort heilen zusammen. Heil sein, das ist mehr als gesund sein. So wichtig das ist und wir uns das zum Beispiel übermorgen an Silvester wünschen: Ein glückliches und gesundes neues Jahr Aber heil sein können auch die, die gesundheitlich beeinträchtigt sind.
Für den alten Simeon jedenfalls ist heil werden das Wichtigste. Zur Weihnachtsgeschichte gehört, dass gerade die ältesten Menschen bald das Heil erfahren sollen, gleich nach den Hirten und Weisen. Wer weiß denn, wie lange man sich noch hat? Dann kommt es darauf an, was wirklich wichtig ist. Simeon lebte bis zum Schluss mit seiner Hoffnung. Dann hat sie sich erfüllt. Dass sich der alte Simeon und das kleine Jesuskind begegnen, erinnert bis heute daran, nicht aufzuhören mit dem Hoffen.
Simeon war offenbar einer, der nicht aufgehört hat zu hoffen. Aber es fällt einem ja nicht immer leicht, an dem festzuhalten, was man hofft. Manche erleben, wie ihre ursprünglichen Träume und Vorstellungen zerbrechen. Im Beruf hatte man sich manches anders vorgestellt, oder da, wo man sich für was engagiert hat, im Verein, in der Politik oder auch in der Kirche. Man hat sich Gedanken gemacht, etwas geplant, sich darauf vorbereitet. Und dann ist alles ganz anders gekommen.
Noch schlimmer: Wenn man von anderen Menschen enttäuscht wird, eine Liebe endet, etwas zerbricht und nicht mehr zu kitten geht. Dann steht man wie vor einem Scherbenhaufen, verliert seine Hoffnungen. Und ohne Hoffnung hat man keine Kraft für etwas Neues. Zukunft und Hoffnung hängen darum eng miteinander zusammen. Wer denkt: „Ich bin im Kummer nicht allein“, kann sich eher für Hilfe öffnen. Wer glaubt, sich verständigen ist besser als sinnlose Streitereien oder verbittertes Schweigen, kann sich auch zum x-ten Mal zu Gesprächen zusammensetzen. Wer hofft, wird seine inneren Kräfte entdecken, die helfen, auch schwierige Erfahrungen zu überstehen.
Was von Simeon erzählt wird, zeigt mir, wie das gelingen kann. Er geht an einem Ort, wo man Gott begegnen kann. Für ihn war das der Tempel. Aber auch ich kann Orte aufsuchen oder Worte lesen und hören, durch die schon viele Menschen Erfahrungen mit Gott gemacht. Zum anderen gehört dazu Simeons Geduld. Sein waches Warten. Er hat nicht aufgehört zu hoffen, auch als lange nichts davon zu sehen war. Er hat die Augen offen gehalten und sein Herz. Das will ich mir von ihm abschauen. Im Blick auf das, was ich im vergangenen Jahr erlebt habe und auf das, was er vom neuen Jahr erhoffe.
Schließlich hat Simeon etwas erfahren, was auch für mich weitererzählt wird: Die Liebe Gottes ist schon in der Welt. Simeon hat erkannt: In Jesus ist Gott selbst mit seiner Liebe zur Welt gekommen. Als er dem Jesuskind begegnet, erkennt Simeon: Es kommt darauf an, das Leben zu leben als Mensch, als Kind Gottes. Simeon macht das kleine Kind zufrieden, der Anfang des Guten, auch wenn er nicht wissen konnte, was aus ihm werden würde. Er konnte nicht wissen, dass Jesus dem Leid seiner Mitmenschen nicht ausgewichen ist, nicht den Kranken, nicht den Zu-Kurz-Gekommenen. Dass er gerade zu denen gegangen ist, die Ungerechtigkeit, Armut, Einsamkeit erfahren haben. Und das alles selbst erlitten hat. Und doch hat er die Liebe nie verloren.
Jesus steht für die Hoffnung, dass die Liebe unter den Menschen lebt. An jedem Tag kann man ihr in einem anderen Menschen begegnen, in jemandem, der zu einem hält. Oder in jemandem, der einen braucht. Wie gut, dass die Weihnachtsgeschichte weitergeht mit dem, was sie von Simeon erzählt. Es ist möglich, Gottes Liebe zu begegnen.