Seid mehr wie die Kinder!
Ach, schau mal da! In letzter Zeit ertappe ich mich immer öfter bei solchen Momenten. Wenn ein Sonnenstrahl durch die Blätter fällt. Wenn eine Amsel singt. Wenn der Geruch von Regen in der Luft liegt. Dann bleibe ich stehen – und staune. Wie ein Kind. Einfach so. Ganz ohne großen Plan, ohne Kalender, ohne Ziel. Und manchmal frage ich mich: Wann haben wir eigentlich aufgehört, die Welt auf diese Weise zu sehen?
Verlerntes Staunen
Als ich ein Kind war, da war das selbstverständlich. Ein Käfer auf dem Gehweg konnte mich faszinieren. Eine Pusteblume war ein Wunder. Ich konnte minutenlang in eine Pfütze starren oder dem Regen lauschen, als wäre das das Schönste auf der Welt. Bis ich dann natürlich in sie hineinspringen musste. Heute scrolle ich lieber weiter. Habe Termine. Muss funktionieren. Und vielleicht ist genau das der Punkt: dass mir das Staunen ein Stück verloren gegangen ist. Die Freude am Kleinen. Der Blick für das, was nicht laut ist, aber trotzdem wichtig.
Wie Kinder werden
Da fällt mir dieser Satz aus dem Matthäus-Evangelium ein, den ich lange nicht verstanden habe: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ (Mt 18,2) Vielleicht meint er genau das. Offen. Neugierig. Wach. Für die kleinen Dinge, die das Leben schön machen. Nicht kindisch sein, sondern kindlich.
Mit Kinderaugen
Ich denke an meine Nichte. An meinen kleinen Neffen. Wenn ich mit den beiden unterwegs bin, staune ich immer wieder, wie aufmerksam sie sind. Wie sie sich für die kleinen Dinge begeistern können, die ich oft übersehe. Eine Schnecke auf dem Weg. Ein Blatt, das sich im Wind dreht. Der Geruch nach Regen auf warmem Asphalt. Die Pfütze, in die unbedingt reingesprungen werden muss. „Guck mal, wie das glänzt!“ – ruft meine Nichte, während sie einen Kieselstein hochhält, als hätte sie gerade einen Schatz gefunden.
Dankbarkeit lernen
Ich merke: Kinder sehen die Welt mit anderen Augen. Und vielleicht ist das genau der Blick, den ich als Erwachsener manchmal brauche – gerade jetzt, an Erntedank. Statt ständig auf das zu schauen, was fehlt oder schiefläuft, könnte ich öfter dankbar sein für das, was da ist. Für das, mir geschenkt ist. Für die Schöpfung um mich herum – die Farben des Herbstes, das goldene Licht, der Duft von Äpfeln und nasser Erde. Für meine Familie. Für das Leben selbst.
Die große Frage
„Wer hat das alles gemacht?“, hat meine Nichte mich einmal gefragt, als wir unter einem Baum standen und sie die Blätter beobachtete, wie sie im Wind tanzten. Ich war kurz sprachlos. Weil ich wusste: Ich kann eine wissenschaftliche Erklärung liefern. Photosynthese. Evolution. Jahreszeiten. Aber sie wollte etwas anderes wissen. Etwas Tieferes. Sie meinte: Wer steckt dahinter? Wer schenkt uns das alles?
Musik
Ein Geschenk
Wer oder was steckt eigentlich dahinter? Es sind solche Fragen, die mich an Erntedank besonders bewegen. Weil sie mich erinnern: Die Welt ist nicht selbstverständlich. Das Brot auf dem Tisch. Das saubere Wasser im Glas. Der Apfel im Garten. Die Wärme eines Sonnenstrahls auf der Haut. Das sind keine Kleinigkeiten, das sind Wunder. Ein Geschenk der Natur. Ich kann dieses Geschenk genießen und weiternutzen, vielleicht in einen schönen Apfelkuchen verwandeln.
Das Wunder spüren
Und Kinder haben ein Gespür dafür. Sie danken nicht abstrakt, aber sie staunen. Sie spüren, wenn etwas besonders ist. Wenn etwas schön ist. Sie erleben das Wunder der Schöpfung unmittelbar, ohne es zu benennen.
Ich frage mich oft: Wann habe ich eigentlich aufgehört zu staunen?
Nicht alles wissen müssen
Wenn ich an diese Kinderfrage denke: „Wer hat das alles gemacht?“, dann spüre ich: Da steckt eine Tiefe drin, die wir Erwachsenen vielleicht gar nicht mehr zulassen. Wir sind so sehr darauf trainiert, Erklärungen parat zu haben, Fakten zu kennen, Lösungen zu liefern. Einfach alles zu wissen. Aber manchmal braucht es gar keine Antwort. Manchmal reicht es, mitzufragen. Mitzustaunen. Und sich selbst wieder von dieser kindlichen Offenheit anstecken zu lassen.
Der Blick für das hier und jetzt
Gerade in dieser Zeit, wo draußen die Felder abgeerntet sind, wo das Licht weicher wird, wo sich die Natur zurückzieht, spüre ich: Jetzt ist ein guter Moment, um dankbar zu sein. Nicht nur für das große Ganze: Gesundheit, Familie, Sicherheit. Sondern auch für die kleinen Dinge, die ich so oft übersehe. Der warme Kaffee am Morgen. Das erste bunte Blatt auf dem Weg. Ein gutes Wort zur richtigen Zeit.
Mehr als genug
Kinder sehen diese Dinge. Sie sehen nicht das große Ganze. Sie sehen das, was direkt vor ihnen liegt. Und vielleicht ist das gar nicht weniger, sondern mehr. Vielleicht ist es das, was Jesus gemeint hat, als er gesagt hat: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder…“ (Mt 18,3). Ich habe diesen Satz lange eher als Forderung verstanden. Fast wie eine Drohung. Aber inzwischen höre ich ihn anders. Als Einladung. Als Ermutigung, den Blick zu weiten – oder vielleicht sogar zu verengen. Weg von allem, was ich leisten muss. Hin zu dem, was einfach da ist.
Musik
Neue Sichtweisen
Die Worte von Jesus verstehe ich heute eher als Ermutigung auszubrechen, aus meinen bekannten Mustern. Dazu fordern mich gerade die Kinderfragen auf, mit denen ich konfrontiert bin. Ich kann eine neue Sichtweise auf die Dinge lernen.
Langsamer leben
Ich merke: Wenn ich mich auf diesen Blick einlasse, verändert sich etwas. Ich werde ruhiger. Langsamer. Und irgendwie auch freundlicher – mit mir selbst und mit anderen. Ich muss nicht mehr alles wissen. Nicht mehr alles kontrollieren. Ich darf einfach da sein. Dürfen – ein Wort, das ich im Alltag oft vergesse. Ich darf mich freuen. Ich darf Fehler machen. Ich darf auch mal nichts sagen müssen.
Empfangen statt leisten
Und vielleicht ist das sogar das eigentliche Geschenk dieser Herbstwochen rund um Erntedank: Dass ich wieder lerne, zu empfangen. Nicht nur zu machen und zu planen. Sondern zu nehmen, was da ist und dafür zu danken. Für das Brot. Für die Luft. Für die Nähe eines Menschen. Für das Lächeln eines Kindes.
Ich habe mich oft gefragt, warum uns das so schwerfällt. Vielleicht, weil Dankbarkeit immer auch Demut braucht. Das Eingeständnis: Ich bin nicht der Mittelpunkt. Ich habe nicht alles im Griff. Ich bin beschenkt und das allein ist Grund genug, zu feiern. Ich lasse mich auf den anderen ein.
So könnt ihr leben
Jesus stellt ein Kind in die Mitte. Nicht als Deko oder Provokation, sondern als Zeichen: So könnt ihr leben. So könnt ihr glauben. Offen. Neugierig. Mit Vertrauen.
Ich will mir das wieder mehr zutrauen. Nicht, kindisch zu sein, sondern kindlich. Mich über die kleinen Wunder freuen. Ehrlich sagen, was ich fühle. Auch mal weinen. Auch mal laut lachen. Auch mal durchs nasse Gras rennen, ohne mich um meine Schuhe zu sorgen.
Ein einfaches Danke
Und vielleicht, ganz vielleicht, beginnt genau dort etwas vom Himmelreich. Nicht in den großen Reden oder Konzepten. Sondern in einem staunenden Blick. In einem einfachen Danke. In einem Satz wie: „Ich hab dich lieb.“