Geschaffen im Himmel
Wer oder was steuert mein Leben? Diese Frage hat Freddy Mercury sehr beschäftigt. Der Sänger der Rockgruppe Queen ist damit in guter Gesellschaft. Seit Jahrhunderten gehen Philosophen dieser Frage nach. Und auch moderne Hirnforscher untersuchen, ob unser Gehirn tatsächlich freie Entscheidungen treffen kann oder uns das nur vorgaukelt. Natürlich suchen auch die Religionen nach Antworten.
Im täglichen Leben scheine ich meine Freiheit ganz konkret zu erleben. Ich kann entscheiden, ob ich ein Brötchen frühstücke oder ein Müsli. Ob ich am Sonntagmorgen in die Kirche gehe oder Radio höre. Auch mit wem oder mit was ich meine Tage verbringe. Doch von dieser Freiheit verflüchtigt sich bei näherem Hinsehen viel. Pflichten bestimmen mein Leben weithin. Innere Einstellungen leiten mich. Meine Erziehung und mein soziales Umfeld prägen mich. Meine Gene legen vieles fest. Nicht selten spüre ich: Ich bin gar nicht Herr meiner selbst. Ich werde mehr gelebt, als dass ich selbst lebte.
Und dann ist da noch Gott, den ich bekenne als Schöpfer des Himmels und der Erde. Ich nenne ihn den Allmächtigen. Allmächtig auch über mein Leben? Hat er es womöglich schon längst vorherbestimmt? Ich weiß es nur noch nicht? Aber dann wäre ich ja nur eine Marionette in Gottes großem Puppentheater. Und das bin ich definitiv nicht.
Wie passt das zusammen: Gottes Handeln und mein persönlicher Wille? Auf diese Frage hat der Apostel Paulus eine Antwort parat, die so klug ist, wie es wohl geht. Er schreibt: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern, denn Gott ist´s, der in euch beides wirkt: Das Wollen und das Vollbringen.“ Soweit Paulusi.
Er ermutigt: Schaffet, macht, nehmt eurer Leben in die eigene Hand! Aber eben: mit Frucht und Zittern, denn ob es gelingt, das bleibt am Ende doch Gott vorbehalten. Paulus gibt also keine eindeutige Antwort darauf, wie das ist mit dem eigenen Willen und den anderen Einflüssen.
Wer oder was steuert die Ereignisse in meinem Leben? Darauf sucht auch der Popsänger Freddy Mercury eine Antwort. Ihm steht dabei sicher sein großes Talent als Sänger und Bühnenstar vor Augen. Aber auch seine schwere Krankheit und die Schuld, die er auf sich geladen hat. Woher, wozu das alles? Das fragt er in seinem Lied „Made in Heaven“ – auf Deutsch: Geschaffen im Himmel. Der Refrain klingt so:
Im Himmel geschaffen, es war vorherbestimmt, dass alles so kommen sollte. Im Himmel geschaffen. Das ist es, was sie sagen: Siehst du es nicht? Das ist es, was jedermann zu mir sagt, siehst du es nicht? Oh, ich weiß, ich weiß, ich weiß, dass es wahr ist. Ja, alles war vorher bestimmt, tief in meinem Herzen.
„Made in Heaven“ – immer wieder wird in dem Lied das betont. Damit bezieht der Sänger und Komponist Freddy Mercury sein Leben auf etwas, das über ihn selbst hinausweist. Er nennt es Heaven, das englische Wort für die religiöse Dimension des Himmels. Dort kommt sein Leben her, dort ist es erdacht und gemacht. Davon geht Freddy Mercury aus. Doch damit ist noch nicht geklärt, ob auch alles, was darin geschieht, im Himmel vorherbestimmt ist.
Freddy Mercury sträubt sich gegen diesen Gedanken. Denn er ist ein Freigeist, eine expressive Persönlichkeit. Er lässt sich von niemandem zähmen, hält keine Konvention ein. Bescheidenheit ist seine Sache nicht, er nennt sich selbst nach Merkur, dem Planeten, der der Sonne am nächsten steht, und nach dem antiken Götterboten, der auch Merkur heißt. Eigentlich stammt Freddy aus Indien und erblickte das Licht der Welt unter dem Namen Farrokh Bulsara. Der Gedanke, dass sein ganzes Leben vom Himmel gesteuert sein könnte, ist für ihn, den Lebemann, blanke Provokation.
Und dennoch drängen ihn offenbar Leute, es so zu sehen. Es sind wohl Leute, die er schätzt und die er ernst nimmt. Sie sagen: Alles sollte so kommen, wie es gekommen ist. Damit wollen sie Freddy Mercury vermutlich trösten und entlasten. Denn er ist in einer dramatischen Lage, als er das Lied „Made in Heaven“ komponiert. Es entsteht 1986, da ist Mercury krank und hat den Tod vor Augen. Die Jahre davor hatte er überwiegend in München und in New York gelebt. Dort hatte er sich in das pralle Nachtleben schwuler Bars und Saunen gestürzt. Was er dabei außer acht ließ, war die AIDS-Gefahr. Er infizierte sich – und etliche andere auch. Der Rest seines Lebens war geprägt vom Ringen mit seiner AIDS-Krankheit und vom langsamen Erlahmen seiner Kräfte.
Ich muss lernen, den Preis zu bezahlen. Sie stellen mich auf den Kopf. Ich warte auf Möglichkeiten, aber ich sehe im Moment nicht so viele.
Seine letzten Jahre erlebte Freddy Mercury in einer festen Beziehung. Er starb 1991 in London im Alter von 45 Jahren. Bestattet wurde er in einer Zeremonie der zoroastrischen Religion. Beheimatet ist sie insbesondere in Indien, dem Herkunftsland des Sängers.
Freddy Mercury hat sein Leiden und Sterben intensiv reflektiert - auch musikalisch. Seine letzte CD ist voller religiöser Fragen. Aufgenommen hat er sie mit seiner Gruppe Queen in Montreux am Genfer See. Das Lied „Made in Heaven“ ist der Titelsong dieser CD. Ihr Cover zeigt den Genfer See, dahinter die Berge der Alpen im letzten Licht der untergehenden Sonne – eine schöne Abendstimmung. Im Vordergrund steht ein Mann. Er blickt in den Himmel und reckt seine Hand in die Höhe, die Finger zur Faust geballt - eine Gestalt voller Energie. Eine typische Bühnenpose von Freddy Mercury. Am Genfer See ist sie zum Denkmal geworden für diesen begnadeten Sänger, der ein kurzes, wildes Leben führte.
Das Denkmal zeigt einen Mann im Dialog mit dem Himmel. Selbstbewusst und stark reckt er dem Himmel seine Faust entgegen. Ein Kräftemessen um die Frage: Wer bestimmt mein Leben?
Ich bin unterwegs mit meiner Bestimmung, bereit, meine Rolle zu spielen. Ich lebe mit schmerzhaften Erinnerungen. Ich liebe mit meinem ganzen Herzen.
Ich spiele meine Rolle in der Geschichte, versuche mein Ziel zu finden, ich nehme dieses ganze Elend in mich auf, aber ich gebe ihm meine ganze Seele.
In diesen Versen besingt sich Freddy Mercury als einen, der in seinem Schicksal gefangen ist und es dennoch suchen muss. Er will gerade stehen für das, was er getan hat. Er steht zu seiner unbändigen Lust auf das Leben. Doch dazwischen, im Refrain des Liedes, zeigt er sich auch verunsichert. Warum ist alles so gekommen? Hätte ich anders leben sollen? Hätte ich überhaupt anders handeln können? Oder ist alles vorherbestimmt gewesen – erdacht und gemacht im Himmel? Unwillig schiebt Mercury den Gedanken weg. Dann holt er ihn wieder heran und will ihn für wahr halten. Am Ende landet er bei dem Satz „Written in the stars“ –das steht in den Sternen.
Written in the stars, das steht in den Sternen. Das ist eine vielschichtige Anspielung. Zum einen auf die Astrologie. Die sagt ja: Die Konstellation der Sterne beeinflusst das Schicksal. Zum anderen spielt Mercury damit auf seinen Namen an: Merkur, der Stern, der Planet, der am nächsten zur Sonne steht. Vielleicht meint er, der Popstar, sich damit selbst. Freddy Mercury liebte ironische Wortspiele. Am Ende lässt er alles offen. Das Lied klingt einfach aus - langsam und nachdenklich. Wie die Lebenskräfte des Sängers auch.
Wer oder was steuert mein Leben? Freddy Mercury findet darauf keine eindeutige Antwort. Ob es Paulus besser weiß - der Apostel, der an Jesus Christus glaubt und sich in Gottes Hand weiß? Paulus schreibt: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern, denn Gott ist´s, der in euch beides wirkt: Das Wollen und das Vollbringen.“
Der Apostel traut sich also eigene Entscheidungen durchaus zu, gute wie und schlechte. Doch was daraus letztlich wird, das liegt in Gottes Ermessen. Dabei setzt Paulus noch eine andere Pointe. Denn am Ende des Tages ist ihm nicht seine Freiheit das Wichtigste, sondern seine Seligkeit, sein Lebensglück, das sogar über den Tod hinausreicht. Paulus schreibt: „Schaffet, dass ihr selig werdet ….“ Er fürchtet gar nicht, dass womöglich nicht er, sondern dass Gott sein Leben steuern könnte. Nein, er hofft es sogar. Denn Paulus strebt danach, seinen Lebensweg in Gottes Handeln einzubetten – also selig zu werden.
Das, finde ich, ist eine gute Antwort auf die Frage „Wer oder was steuert mein Leben?“. Sie lautet: Ich – und Gott. Und am besten gelingt es, wenn beide dabei zusammen arbeiten. Das gilt insbesondere in schweren, in stürmischen Zeiten.