Besser zufrieden als reich
Irgendwie haben wir es gewusst: Geld allein macht nicht glücklich. Geld allein macht sogar arm. Inzwischen ist durch etliche Studien belegt, dass Reiche eher gestresst und unzufrieden sind. 2009 wurden Studenten ein Jahr nach ihrem Studienabschluss befragt, was sie angestrebt haben, und in welchem Maß sich ihre Wünsche erfüllt hätten. Es kam heraus: Je stärker ein Teilnehmer ein Ziel verfolgte, desto eher erreichte er es natürlich auch. Aber damit stieg nicht unbedingt seine Zufriedenheit. Wer Wohlstand oder Ansehen anstrebte und erreichte, war sogar eher unglücklicher. Bei diesen jungen Akademikern stellten die Forscher verstärkt negative Gefühle wie Scham oder Wut fest, und auch Gesundheitsprobleme wie Kopf- und Magenschmerzen und Erschöpfung. Wer dagegen mehr Wert auf seine persönliche Weiterentwicklung oder enge Freundschaften legte, war zufriedener. Der Psychologe Edward Deci von der amerikanischen Universität Rochester meint: «Was das Leben glücklich macht, ist individuelles Wachstum, liebevolle Beziehungen und die Teilnahme an der Gemeinschaft.»
Natürlich spielt finanzielle Sicherheit eine wichtige Rolle für die Zufriedenheit. Aber Reiche sind eben nicht glücklicher als Menschen mit “normalem” Einkommen. Und wenn sie es doch sind, liegt´s nicht am Geld. Der Soziologe Ruut Venhooven von der Universität Rotterdam sagt: Wenn ein Mensch nicht jeden Tag aufs Neue für die blanke Existenz arbeiten muss, ist er im Durchschnitt genauso glücklich wie ein wohlhabender Mensch. Und der Psychologe Daniel Gilbert von der Universität Harvard bestätigt: “Der erste Dollar kauft dir ein Stück vom Glück. Und jeder weitere kauft dir ein Stückchen weniger. Je mehr wir verdienen, desto weniger steigert es unser Glück.”
Aber im Grunde haben wir das ja gewusst. Immer schon. In der griechischen Sagenwelt gibt es den König Midas. Der war genauso gierig wie dumm. Weil er auf die Klugen neidisch war, wollte er wenigstens einen Weisen gefangen nehmen. Da ging ihm Silenos ins Netz, der Lehrer von Dionysos, dem griechischen Gott des Weins. Da Dionysos seinen Lehrer wieder haben wollte, durfte sich König Midas was wünschen. Und er wünschte sich, dass alles, was er berührte, zu Gold werden sollte. Der Wunsch wurde ihm gewährt. Aber weil nun auch alles Essen und Trinken zu Gold wurde, was er anfasste, geriet er in Lebensgefahr durch Hunger und Durst. Verzweifelt bat er deshalb Dionysos, den Wunsch wieder rückgängig zu machen.
Diese alte Sage ist bis heute ein gutes Symbol dafür, dass Gier nach Reichtum nicht glücklich macht. Aber warum träumen dann trotzdem Millionen davon, im Lotto zu gewinnen? Oder plötzlich und unerwartet das Vermögen einer reichen Erbtante anzutreten?
Eine Befragungen von Lottogewinnern hat gezeigt: Mehr Geld macht nicht zufriedener. Die anfängliche Euphorie hält im Durchschnitt nicht einmal ein Jahr an, danach überwiegen wieder die Alltagssorgen und die Zufriedenheit ist nicht höher als vor dem Gewinn. Umgekehrt können sich Menschen nach schweren “Schicksalsschlägen” recht schnell auf die neuen Lebensumstände einstellen. Eine Untersuchung von gelähmten Unfallopfern zeigte, dass diese nach einer gewissen Zeit wieder genau so viel Freude am Leben hatten wie vollkommen gesunde Menschen.
Wenn uns also weder Geld, noch Schutz vor Leid das Glück garantieren können, was ist es dann? Der österreichische Unternehmer Karl Rabeder hatte schon mit vierzig Jahren Millionen verdient und alle seine Ziele erreicht – und dann 2004 sein ganzes Vermögen an eine Stiftung verschenkt. 2010 hat er auch noch seine 1,6-Millionen-Luxusvilla verlost. Unter großem Medienrummel gewann sie eine Frau aus Bayern für 99,- Euro. Das Schlüsselerlebnis für ihn war, nach eigener Aussage, ein Luxus-Urlaub auf Hawaii, wo er so viel Geld ausgab, wie man nur ausgeben konnte und trotzdem das Gefühl hatte, alles sei unwirklich und er nur Schauspieler, der eine Rolle spiele. Bei späteren Reisen durch Südamerika hat Rabeder eine verwunderliche Erfahrung gemacht: Die meisten armen Menschen waren dort viel glücklicher, als wohlhabende Mitteleuropäer. Und nebenbei entdeckte er seine Leidenschaft für Entwicklungshilfe. Er fragte sich: Was macht mich wirklich glücklich? Zum Beispiel interessanten Menschen begegnen, sich selbst besser kennen lernen, Natur erleben, Freunde, Familie, Vitalität haben. Dinge tun, die man nicht kaufen kann, die aber sinnvoll sind. Um glücklich zu sein, brauchte er also nicht reich sein. Seitdem er sich von seinen Besitztümern trenne, so Rabeder, fühle er sich frei und leicht.
Das erinnert ja ein wenig an den Satz von Jesus: Verkaufe alles, was du hast, und gib\'s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben (Lukas 18,22). Der österreichische Ex-Millionär hat er sich anschließend erlaubt, das zu tun, was ihm wirklich wichtig war. Entwicklungshilfe leisten. Daraus ist der gemeinnützige Verein MyMicrocredit entstanden, eine Non-Profit-Organisation. Soziale Investoren können dort zinslose Kleinstkredite ab 25 Euro in Entwicklungsländern vergeben. Blaise Pascal, der französischer Mathematiker und Philosoph meinte: Ich bewundere nichts weniger als den Reichtum eines Menschen, wohl aber den Gebrauch, den er davon macht. Schön gesagt. Aber wie schaffen wir es, unsern Besitz sinnvoll zu gebrauchen, sodass er glücklich macht?
Menschen sind nicht glücklich, wenn sie reich sind, sondern wenn sie zufrieden sind. Dafür gibt es zwei Anregungen, wie das gehen kann. Die erste: Es ist ein offenes Geheimnis, dass zufriedene Menschen den Moment besser wahrnehmen und nutzen. Sie leben nicht nur in der Vergangenheit, und sie denken auch nicht nur an die Zukunft. Die Gegenwart ist die wichtigste Zeit im Leben. Meinte Jesus das vielleicht mit seinem Satz: \"Sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen (Matthäus 6,34 Luther-Übersetzung 1984).\"? Es gibt so viele schöne Momente. Aber oft müssen wir erst auf sie aufmerksam werden. Wie in folgender Geschichte:
Es war in den Hunger-Tagen kurz nach dem Krieg. Der Papa hatte einen runden Geburtstag. Seine fünfjährige Tochter überreichte ihm erwartungsvoll eine golden verpackte Schachtel. Sie hatte das schönste Geschenkpapier aufgebraucht, das sie finden konnte. Als der Vater die Schachtel entgegennahm und das Geschenkpapier sah, verfinsterte sich seine Mine etwas. Vielleicht dachte er an das knappe Geld. Als er dann die Schachtel öffnete und sah, dass sie leer war, wurde er ärgerlich. “Weißt du das denn nicht? Wenn man jemand ein Geschenk gibt, muss auch was drin sein!“ Die Tochter sah ihn erschrocken an und sagte: „Aber Papa, die Schachtel ist nicht leer. Ich hab so viele Küsschen hineingetan, bis sie ganz voll war.“ Beschämt nahm der Vater seine Tochter in den Arm und bat sie um Verzeihung (ursprünglich nach Margaret Fishback-Powers, leicht geändert und gekürzt vom Autor).
Das zweite Geheimnis ist, dass Zufriedene sich nicht mit anderen vergleichen. Viele machen ihre Zufriedenheit ja davon abhängig, wie sie vor anderen dastehen. Verdienen sie weniger als der Durchschnitt, sind sie unzufrieden. Würden sie aber mit dem gleichen Gehalt über dem liegen, was die anderen verdienen, wären sie wesentlich zufriedener. Das nennt man relativen Wohlstand. Reich und zufrieden ist dann immer nur der, der mehr hat als die meisten anderen. Aber diese Zufriedenheit hält nicht lange an, weil das Vergleichen nicht aufhört. Wilhelm Busch, der deutsche Comic-Pionier und Dichter, schrieb ein Gedicht darüber. Titel: Niemals.
Wonach du sehnlich ausgeschaut,
es wurde dir beschieden.
Du triumphierst und jubelst laut:
»Jetzt hab ich endlich Frieden!«
Ach, Freundchen, rede nicht so wild,
bezähme deine Zunge!
Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt,
kriegt augenblicklich Junge.
Schein und Sein. Nachgelassene Gedichte, 1909).
“Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.” meinte der dänische Philosoph Søren Kierkegaard. Denn es wird immer einen Nachbarn, Arbeitskollegen oder sonst jemanden geben, der sich ein größeres Haus, einen schöneren Garten, ein teureres Auto und einen luxuriöseren Urlaub leisten kann.
Ich war auch so ein unzufriedener Mensch. Habe mein Aussehen und meine Möglichkeiten mit anderen verglichen, und schnitt dabei oft schlecht ab. Eine Krankengymnastin hat mir vor einiger Zeit empfohlen, Gott bewusst Danke zu sagen für jede Einzelheit an mir, und Frieden zu schließen mit meinem Lebensweg. Weil Gott Ja zu mir sagt, und weil ich ohne das alles nicht werden konnte, was ich bin. Das fiel mir nicht leicht. Aber heute macht es mich tatsächlich zufriedener, wenn ich, wie David in der Bibel, bete: Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin (Psalm 139,14).