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Kummerkutter
Foto: Yannik Willing

Kummerkutter

Lisa Maria Tumma
Ein Beitrag von Lisa Maria Tumma, Evangelische Pfarrerin, Rundfunkbeauftragte für den Hessischen Rundfunk
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Am Wochenende werden in vielen evangelischen Kirchen Kerzen brennen und Namen vorgelesen von Menschen, die in diesem Jahr gestorben sind. Es ist Totensonntag. Ein stiller Tag zum In-sich-gehen, Gräber besuchen, erinnern und trauern.

Trauern ganz handfest

Anders ist es in einer Hamburger Kirche. Auch dort kommen Menschen zusammen, die jemanden vermissen und trauern. Und auch sie wollen sich gemeinsam erinnern. Aber nicht still, sondern ganz aktiv und handfest.

Gemeinsam bauen sie kleine Schiffe aus Treibholz. Mit Mast und Segel, mit Wimpelketten oder bunten Bändern. Jedes Schiff ein Unikat – versehen mit dem Namen der Verstorbenen. „Kummerkutter“ heißen die Boote.[1]

Ihre Erfinder sind überzeugt: Auch so geht trauern. Gerade, weil der Schmerz manchmal regelrecht lähmt. Oder weil der Alltag eigentlich gar keinen Raum lässt zum Trauern. Da hilft es, etwas mit den Händen zu tun – weil es etwas aufbricht und in Bewegung bringt. Auch innerlich.

Jedes Boot ein Unikat

An großen Tischen werkeln sie. Einer lackiert sein Boot leuchtend gelb, wie wenn die Julisonne vom Himmel scheint. Der Familie am Nachbartisch erzählt er: Im Sommer war seine Frau immer besonders glücklich. Und mit jedem Pinselstrich wird es auch in ihm ein kleines bisschen heller.

Nebenan suchen Kinder den passenden Stoff für ihr Segel aus: Der blaue: So wie Opas gute Hose, die er immer bei besonderen Anlässen getragen hat? Oder lieber grün, wie Opas Garten, in dem sie so oft mit ihm gespielt haben?

Einer arbeitet für sich alleine. Er hämmert den Mast ein. Erst zögerlich. Dann immer bestimmter. Er presst seinen Kiefer zusammen. Schlägt noch fester. Trauern bedeutet manchmal auch, Wut Raum zu geben. Weil manches ungeklärt geblieben oder nicht mehr gut zu machen ist.

Raum für alle Gefühle

Auch solche Gefühle gehören zur Trauer. In der Werkstadt der Hamburger Kirche ist dafür Raum.

Das ist wertvoll, finde ich. Denn vielen Menschen fällt trauern schwer. Tod und Trauer sind aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden. Wir lernen nicht mehr, damit umzugehen. Beerdigungen finden oft nur noch im kleinsten Kreis statt, danach soll der Alltag unverändert weitergehen.

Aber wer einen geliebten Menschen verliert, für den ist ja alles verändert. Und um irgendwann wieder in den Alltag zurückzufinden, braucht es Wege zu trauern. Ich schätze, die müssen wir ein Stück weit neu lernen.

Wege zu trauern - auch an Totensonntag

Kerzen anzünden, in sich gehen, das Grab besuchen, das kann so ein Weg sein. Aber auch: sich mit anderen treffen und gemeinsam das Lieblingsessen des Verstorbenen kochen. Eine Wanderung unternehmen an Orte, die ihm oder ihr wichtig waren.

Oder eben: Boote bauen. So wie die Hamburger Kummerkutter.
Die werden übrigens, sobald man sich dazu bereit fühlt, ins Wasser gesetzt. Auf der Alster oder Elbe segeln sie dann gen Horizont. Und darüber hinaus, wie der Pfarrer der Hamburger Kirche sagt: „Das ist doch unser Glaube: hinterm Horizont geht‘s weiter.“

Hier finden Sie weitere Gedanken zum Toten-/Ewigkeitssonntag von unserer Autorin Andrea Seeger, die selbst gerade trauert und Hoffnung gefunden hat. 

 


[1] Kummerkutter. Über Trauerrituale, die wirklich helfen. In: E. Handke, M. Barnahl: Dein Leben, dein Moment. Rituale neu entdecken und gestalten.

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