Benedikt von Nursia, Schutzpatron Europas
Auf seiner zweiten Missionsreise durch Kleinasien hatte der Apostel Paulus nachts eine Vision. Ein Mazedonier stand da und bat ihn: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!“ (Apostelgeschichte 16, 9).
Weichenstellungen beginnen oft im Stillen, Unscheinbaren gestellt
Eine beiläufige Bemerkung aus einem Reisebericht des Apostels Paulus aus der Bibel. Weichenstellungen beginnen oft im Stillen und Unscheinbaren, das macht diese kleine Bemerkung aus der Apostelgeschichte deutlich. Dieser Ruf führt zu einem entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte Europas. Der Apostel Paulus kommt nach Mazedonien und mit ihm das Christentum. Europa wird zu einem christlichen Kontinent.
Auch er trug dazu bei, dass Europa christlich wurde
In der vergangenen Woche haben wir in der katholischen Tradition den Gedenktag des Heiligen Benedikt gefeiert. Er hat im 5. und 6. christlichen Jahrhundert gelebt, und zweifellos haben er und die frühen Klöster dazu beigetragen, dass Europa zum christlichen Abendland wurde. Er wird deswegen auch der „Schutzpatron Europas“ genannt.
Seine Mönchsregel hat sich bis heute bewährt
Die Mönchsregel des Heiligen Benedikt ist bis heute berühmt. Sie erfährt in unserer Zeit eine ungeahnte Wertschätzung. Sie wird in Kursen für Menschenführung verwendet und soll sogar auf dem Nachttisch mancher Manager liegen. Ich glaube, wenn eine Regel sich in so vielen Jahrhunderten so hervorragend bewährt hat und so gut war für das Miteinander der Menschen, dann muss sie tatsächlich auch für unsere Zeit etwas abwerfen, im Zusammenleben miteinander und für meinen eigenen Weg zu Ruhe und Ausgeglichenheit zu finden.
Musik 1: Silvestro Ganassi, Recerchar segundo, Ludwig Frankmar, Barockcello.
Das Leben des Heiligen Benedikt
Benedikt wurde im 5. Jahrhundert in Nursia in Italien geboren, und es schien ihm eine glänzende weltliche Karriere vorausbestimmt zu sein. Sein Vater schickte ihn nach der Schule zum Studium nach Rom. Die dortige Sittenlosigkeit hat ihn dermaßen abgeschreckt, sodass er sich als Einsiedler in die Berge zurückgezogen hat. Dort schloss er sich einer Gruppe asketisch lebender Männer an und widmete sich ganz dem Gebet. Wenig später hat er sich in eine Höhle bei Subiaco begeben, etwas östlich der Stadt Rom, wo viele Menschen auf diesen heiligmäßigen Mann aufmerksam wurden. Man bat ihn schließlich, Abt eines nahegelegenen Klosters zu werden, was Benedikt eher widerwillig annahm. Bei seinen Versuchen, die Lebensführung der recht verwahrlosten Mönche wieder auf den rechten Weg zu bringen, stieß er auf massiven Widerstand - die Mitbrüder versuchten sogar, ihn zu vergiften.
Das Mutterkloster der Benediktiner in Montecassino
Benedikt hat schließlich dieses Kloster verlassen und ist in das Tal von Subiaco zurückgekehrt, wo er mehrere Klöster gründete, von denen heute nur noch eins besteht. Im Jahr 529 ging Benedikt zusammen mit einigen Gleichgesinnten nach Montecassino und gründete dort den Konvent, der als Mutterkloster der Benediktiner gelten kann. Benedikt selbst stand dem Konvent vor und verfasste für ihn auch die Regel, die berühmte „Regula Benedicti“.
Ordnung in Zeiten des Umbruchs gebracht
Das 6. Jahrhundert, in dem Benedikt lebte, war die Zeit der Völkerwanderung. Damals vollzog sich ein gewaltiger Kulturbruch. Das Altertum mit seiner Kultur und Ordnung zerbrach. Ganze Stämme waren wurzellos geworden und zogen durch die Welt, zerstörten, raubten und brannten Städte und Dörfer nieder. In dieses Durcheinander hat Benedikt Ordnung gebracht. Er vollbrachte dies durch die Klöster, in der seine Mönche nach seiner Regel lebten, die ihnen eine stabile Ordnung gab. Damit hat der Heilige Benedikt eine Grundlage geschaffen für das sich allmählich bildende Europa. Davon können wir noch heute lernen und zehren. Mit gutem Grund hat deswegen Papst Paul VI. den heiligen Benedikt von zu einem der Patrone Europas erhoben.
Kann er heute noch Antwort geben auf die Nöte unserer Zeit?
Hat der Heilige Benedikt auch mir heute etwas zu sagen? Zwischen ihm und uns liegen eineinhalb Jahrtausende. Kann er trotzdem Antwort geben auf die Nöte unserer Zeit? Täglich werden uns so viele Nöte vor Augen geführt, im eigenen Umfeld und über die Medien: Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Familien in Armut, Gewalt und Kriege, Krankheit und Unglück – sichtbare Nöte, denen wir oft ratlos und machtlos gegenüberstehen. Zudem gibt es auch eine Not, die unsichtbar ist und ganz tief reicht, aber oft ausgeblendet wird. Das ist die innere Leere, die Verarmung der Seele, die Einsamkeit.
Musik 2: Raitis Grigalis, Non moriar, sed vivam, Franz Vitzthum, Countertenor; Julian Behr, Laute (in: Luthers Laute).
Die Regel des Heiligen Benedikt
Ich denke: In der Regel des heiligen Benedikt lassen sich Antworten finden auf die Nöte unserer Zeit. Im Kloster Montecassino schreibt Benedikt seine Regel nieder. Er beschäftigt sich in seiner Regel wie die Gemeinschaft organisiert wird, wie Führung gelebt werden soll – oder auch, wie individuelle und gemeinschaftliche Bedürfnisse zusammengebracht werden und wie die Aufgaben im Kloster gut verteilt werden können. Er beschreibt, wie man miteinander umzugehen hat, wer ins Kloster aufgenommen werden kann und wie man auf Verfehlungen reagieren soll. Er regelt die Außenbeziehungen des Klosters, beschäftigt sich mit dem Tagesablauf der Mönche, mit Ernährungsfragen und mit den Themen Fasten und Schweigen.
Wichtige Denkanstöße für den Umgang miteinander
Jedes Kapitel enthält wichtige Denkanstöße für den menschlichen Umgang miteinander – unabhängig vom sozialen und beruflichen Umfeld. Viele Themen werden behandelt, die uns auch heute in unserer Gesellschaft beschäftigen – hierarchische und soziale Strukturen, Erziehungsfragen oder der Generationenkonflikt beispielsweise. Und viele Problemlösungen werden angeregt, die durchaus zeitgemäß sind – wie z.B. die Übertragung von Verantwortung, Teamarbeit, Motivation. Es rentiert/lohnt sich, die Regel des Heiligen Benedikt einmal genauer anzuschauen. Ich möchte heute meinen Blick wenden auf das Hören, die Freude, das Maßhalten.
Hören
Benedikt beginnt seine Regel mit einem wegweisenden Wort: "Höre!" (Regel des Benedikt, Prolog). Am Anfang der Regel, am Anfang eines Lebens als Mönch steht nicht das eigene ausgesprochene Wort. Den Auftakt bildet das Hören, das aufmerksame Lauschen auf das Wort eines anderen. Die Mönche jedenfalls sollen für unterschiedliche Sprecher aufmerksam sein: Sie sollen hören auf die Stimme Gottes, die mitten im Alltag zu ihnen spricht, auf Wort Gottes, das „beglückend“ und einladend ist, wie es die Regel sagt, sie sollen hören auf das Wort des Abtes, der im Kloster die Stelle Christi einnimmt, und schließlich sollen sie hören auf das Wort der Regel, die Ordnung und Maßstab für das Zusammenleben bildet.
Erst zuhören, dann selbst reden
"Höre": Diese hörende Grundhaltung kann auch den Menschen heute gut tun, in ihrem Alltag, in Familie und Beruf. Ich erlebe dies in meinem täglichen Umgang mit Menschen. Ein aufmerksames Zu- und Hinhören verhindert manches Missverständnis und hilft, den Anderen zu verstehen. Manche Menschen neigen dazu, immer gleich das Wort zu ergreifen und zu versuchen, mit großen Reden alle Probleme aus der Welt zu schaffen. Der Heilige Benedikt legt den Mönchen ans Herz: Bevor du selbst etwas sagst, höre, was der Andere dir zu sagen hat. Erst zuhören und dann selbst reden – das kostet mich mitunter auch Überwindung, weil ich meine, das eigene Wort sei viel wichtiger und bedeutender.
Mich bewusst auf das einlassen, was mir gesagt wird
In der Regel des Benedikt steckt dagegen die Botschaft: Das Wort des anderen ist wichtig! Und ich drücke Wertschätzung für dieses Wort und für den anderen Menschen aus, wenn ich erst einmal zuhöre. Wenn ich dem Menschen, dem ich begegne, das erste Wort überlasse. Ich muss ihn nicht mit meinen Gedanken überfallen, ich nehme zuerst einmal wahr, was ihn bewegt und umtreibt. Solche Einstellung kann Begegnungen und so manche Auseinandersetzung umgehen. Vielleicht müssen wir gerade in diesen bewegten Zeiten neu lernen, hinzuhören, aufmerksam und sensibel wahrzunehmen, was Tag für Tag neu an unsere Ohren dringt. Unsere Herzen können so zu Resonanzräumen des Gehörten werden. Das braucht Zeit und Geduld, das muss ich lernen und einüben. Und es braucht vor allem eines: Die Bereitschaft, Worte nicht zu überhören, sondern sich ganz bewusst auf das einzulassen, was mir gesagt wird.
Musik 3: Felix Mendelssohn, Höre, Israel (aus dem Oratorium Elias), Soile Isokoski, Orchestre des Champs Èlysées, Ltg.: Philippe Herreweghe.
Freude
Das Leben soll Freude bringen, das ist ein weiteres Anliegen des heiligen Benedikts in seiner Kloster-Regel. Dem Ordensvater sind bei allen Regelungen und Vorgaben die menschlichen Schwächen nicht fremd sind. Er zeigt Verständnis dafür und berücksichtigt die menschliche Komponente auch immer in seiner Regel. Wenn jemand, der etwas auf dem Kerbholz hat, Einsicht zeigt, ist Benedikt der Letzte, der sich abwendet. Wichtig ist ihm, dass die Menschen bei allem, was sie tun, Freude empfinden. (Regel Benedikt, Kapitel 5, 16) Fröhlichkeit, Freude, Motivation, Menschlichkeit, das sind wichtige Komponenten in Benedikts Regel. Und ich finde: Daraus können wir auch heute für unser Leben außerhalb der Klostermauern viel lernen, nämlich eine Balance anzustreben zwischen Arbeit und Freizeit - Ruhe und Bewegung - Reden und Schweigen.
Maßhalten
Der Heilige Benedikt spricht in seiner Regel vom rechten Maß. Er gibt diesem rechten Maß sogar eine besondere Auszeichnung und nennt dieses „Mutter aller Tugenden“ (Regel Benedikt, Kapitel 64,18). Dem Abt trägt Benedikt auf: „So halte er in allem Maß, damit die Starken finden, wonach sie verlangen, und die Schwachen nicht davonlaufen.“ Benedikt meint damit nicht eine Mittelmäßigkeit, sondern einen guten Weg der Mitte.
Ausgewogen soll das Leben sein
Das war dem Heiligen Benedikt sehr wichtig, daher hat man später seine Regel zusammengefasst mit „Ora et Lobora“, mit „Bete und Arbeite“. Ausgewogen soll das Leben sein.
Uns um andere kümmern, ohne sie einzuengen
Das rechte Maß zu finden im Umgang mit den Mitmenschen ist ihm wichtig. Wir sollen uns um andere kümmern, aber sie nicht umklammern. Wenn wir anderen Vorgaben machen, sollen die sie aber nicht einengen. Und wenn wir bei Vergehen andere bestrafen, dann darf dabei niemand verdammt werden und immer sollen wir an das Gute im Menschen glauben. Für unser persönliches Befinden sollte gelten, sich an veränderte Lebensumstände anzupassen, aber nicht jede Mode mitzumachen, sich Gutes tun, aber nicht egozentrisch werden. Alles in allem bedeutet dies für mich: Sorgsam mit allen und allem Anvertrauten umgehen, so dass ich ein Leben im rechten Maß führen kann.
Es geht ihm um die Begegnung mit Gott
Wenn ich mich mit der Regel des Benedikt längere Zeit auseinandersetze, komme ich zu der Überzeugung: Diese Ratschläge können tatsächlich hilfreich für mich sein. Ich komme aber auch zu der Frage, ob ich diese Ratschläge auch so leicht befolgen kann. Was helfen mir die Ratschläge, wenn ich sie nicht befolge? Für den Heiligen Benedikt stehen die Ratschläge und Weisungen nicht isoliert für sich da, sondern haben einen Hintergrund. Der Hintergrund besteht darin, dass Benedikt nicht zuerst die Gemeinschaft von Menschen gesucht hat, sondern dass er zuerst Gott gesucht hat. Für Benedikt steht Gott immer an erster Stelle. Es geht ihm nicht zuerst um den Erfolg der Arbeit, sondern es geht ihm um die Begegnung mit Gott. „Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden“ (Regel Benedikt, Kapitel 43), heißt es im 43. Kapitel seiner Regel. In dieser knappen Anweisung kommt ein sehr zentrales Anliegen Benedikts zum Ausdruck. Das gemeinsame Gebet ist eine der tragenden Stützen des Zusammenlebens der Mönche.
Musik 4: Greg. Choral, Meditabor in mandatis tuis, Singphoniker, Ltg: Godehard Joppich (aus: Ein Mensch ringt mit Gott. Texte und Greg. Gesänge aus dem Buch Hiob).
Gott geht mit beim Aufbruch ins Neue
Gott geht mit mir: Davon war der heilige Benedikt fest überzeugt, als er von Subiaco aufbrach ist, um in Montecassino ein neues Kloster zu gründen. Damals konnte er nicht ahnen, welche Prägekraft von ihm und seiner Regel ausgehen würde. Oft beginnen Aufbrüche im Stillen, nicht selten erkennen wir erst im Rückblick – da ging Gott mit mir, da bin ich mit ihm gegangen. Heute in einer Zeit, in der Europa eine schwierige Zeit erlebt, mit vielen Flüchtlingen und mit immer stärkerem Rechtspopulismus, da ist der Kontinent wieder auf der Suche nach Einheit und Identität. Dabei kann es vielleicht helfen, uns zu erinnern und neu nach der Regel des Heiligen Benedikt zu fragen, die auch heute die richtige Richtung weisen kann.
Gemeinschaft braucht einen offenen und ehrlichen Umgang
Jede Gemeinschaft lebt von einem guten Miteinander und einem offenen und ehrlichen Umgang. Dies gilt nicht nur für klösterliche Gemeinschaften, sondern überall dort, wo es Menschen miteinander zu tun haben. Die Regel des Heiligen Benedikt orientiert sich an Werten, die nicht Profit und Gewinnmaximierung als Leitlinie haben. Der Maßstab, den man hier anlegt, ist die Förderung des Wohls des Mitmenschen - ein unbedingter Einsatz dafür, dass es ihm gut geht und dass er sich und seine Talente entfalten kann.
Ein kleiner Aufbruch kann große Wirkung entfalten
Der Blick auf den Heiligen Benedikt und seine Regel finde ich lohnt sich: Er hat mit seinen Mitstreitern den Aufbruch gewagt, aus dem Einsiedlertum in die Gemeinschaft, aus dem unruhigen Herumziehen in die Stabilität eines Ortes. Benedikt ist im festen Glauben aufgebrochen, dass Gott mit ihm geht. Seine Geschichte macht mir Mut, gibt mir Zuversicht und lädt mich ein, mich auch heute der Situation und der Herausforderung der Gegenwart zu stellen und aufzubrechen - Mut zu fassen aus der Erfahrung und im Bewusstsein: Ein kleiner Aufbruch kann manchmal große Wirkung entfalten. Wichtig für solch einen Aufbruch sind, wie bei Benedikt: ein offenes Ohr für andere Menschen, Freude am Leben und ein gutes Maß, eine gute Balance im Leben.
Musik 5: André Campra, Ecce quam bonum (aus: Campra, Motets; Phillipa Hyde, Canzona, Ltg: Theresa Caudle.)