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Gesetze halten - mit Freude
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Gesetze halten - mit Freude

Ein Beitrag von Isabell Trautmann, Pastoralreferentin St. Franziskus, Kelkheim
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Vorschriften, Regeln, Gesetze: in unserem Alltag bewegen wir uns in einem dichten Netz von geschriebenen, ausgesprochenen und unausgesprochenen Bestimmungen. Viele sind offensichtlich nützlich – wie zum Beispiel Verkehrsregeln oder Arbeitszeitgesetze. Über viele habe ich noch nie nachgedacht, und wahrscheinlich gibt es genauso viele Regeln, die ich befolgen soll, die ich aber gar nicht kenne.

Eine Fee hat alle Vorschriften weggezaubert

Stellen Sie sich vor: Sie wachen eines schönen Morgens auf und eine Fee hat alle Vorschriften weggezaubert und alle Belohnungen und Bestrafungen, die an ihnen hängen, auch. Niemand trägt mehr von außen solche Anforderungen an Sie heran. An welche Regeln würden Sie sich trotzdem weiter halten wollen?

Musik 1: Oi Oi Oi, (CD: Church meets Synagogue. Begegnung / Hans-Joachim Dumeier / Irith Gabriely, Track 9)                                          

Naturgesetze kann der Mensch nicht ändern

Es gibt Gesetzmäßigkeiten, die das Leben auf unserem Planeten ermöglicht haben und ihm zugrunde liegen: Anziehungskräfte der Materie, der Energiegehalt von Licht und Wärme. Naturgesetze gelten immer und überall. Kein Mensch kann über sie entscheiden oder sie beschließen. Die Wissenschaft muss sich damit begnügen, sie zu beschreiben und ihre Wirkungen zu beobachten. Ändern kann sie sie nicht.

Regelwerke sollen das friedliche Zusammenleben erleichtern

In allen Gesellschaftsformen gibt es Regelwerke, die das friedliche Zusammenleben in einer großen Gemeinschaft erleichtern sollen. Sie gelten ausnahmslos für alle Menschen, die zum Beispiel auf einem Staatsgebiet leben. Wer sie missachtet, stört die Gemeinschaft und wird dafür bestraft. Staatliche Gesetze beruhen in einer Demokratie auf dem Willen des Volkes. Theoretisch befolgen die Bürgerinnen und Bürger diese Gesetze freiwillig, weil sie sie mitbestimmt haben.

Im Sport funktioniert ohne Regeln kein gemeinsames Spiel

Nicht für alle Menschen gleichermaßen verbindlich sind Regeln, die sich manche Gruppen selbst geben. So gibt es im Sport zum Beispiel aufwendige, schriftliche Regelwerke für jede einzelne Sportart. Wer mit zwei Händen eine Kugel werfen will, kann das gerne immer tun. Nur bei einem Wettkampf im Kugelstoßen wird man so nicht zugelassen. Und auch auf schwerste Regelverstöße im Fußball steht kein Gefängnis, sondern der Ausschluss vom Spiel. Die Regeln machen den Sport aus. Wer mitmachen will, verspricht, sich an die Regeln zu halten und vertraut darauf, dass das auch die Partnerinnen und Partner tun. Wer dazu nicht bereit ist, verhält sich unsportlich und zerstört den Sport. An diesen Spielregeln wird meiner Meinung nach besonders deutlich, dass Regeln dazu da sind, etwas zu ermöglichen: Ohne Regeln kein gemeinsames Spiel.

Viele ungeschriebene Regeln entfalten große Wirkung

Es gibt auch sehr viele ungeschriebene Regeln, die große Wirkung entfalten. Respekt, Wertschätzung und Höflichkeit können nicht auf dem Rechtsweg eingeklagt werden. Trotzdem bekomme ich die Folgen meines Verhaltens schnell zu spüren, sobald ich gegen sie verstoße. Wenn ich mich meinen Freunden gegenüber respektlos verhalte, werde ich bald alleine dastehen. Ein anderes Beispiel: Wer in einem Museum laut singt, braucht eine sehr gefestigte Haltung, um die vielen missbilligenden Blicke auszuhalten, die gestörte Kunstliebhabende auf ihn oder sie werfen werden.

Musik 2: El Adon / Gott, der Herr (CD: Church meets Synagogue. Begegnung / Hans-Joachim Dumeier / Irith Gabriely, Track 12)

Es gibt viele gute Gründe, Regeln zu befolgen.

Ein Grund, sich für das Befolgen von Regeln zu entscheiden, ist eine Güterabwägung, eine Abwägung von Kosten und Nutzen: Welche Strafe riskiere ich bei Fehlverhalten und was bringt mir der Regelverstoß an Genuss oder Vorteilen? Lohnt es sich, noch fünf Stundenkilometer draufzulegen, wenn das mich und andere in Gefahr bringt und mich im Ernstfall den Führerschein kostet? Eigentlich finde ich Naturschutz sehr wichtig und das Tierwohl unserer Nutztiere gehört für mich dazu. Trotzdem greife ich an der Fleischtheke auch mal zu, obwohl offensichtlich ist, dass ich gerade keine Bioqualität kaufe. Wie oft kann ich so etwas tun, ohne mich vor mir selbst zu schämen und mich schlecht zu fühlen?                                                                                 

Regeln, die ich sinnvoll finde, befolge ich gern

Die meisten Menschen sind motiviert, Regeln zu befolgen, wenn sie sie sinnvoll finden. Auf einem Wanderweg stand ich neulich vor einem Rauchverbotsschild mit angefügten Begründungen von einer halben DIN A4 Seite. Oder: Wenn Menschen gelobt werden für regelkonformes Verhalten, erleichtert das, Regeln durchzusetzen. „Danke, dass Sie Rücksicht nehmen und hier auf das Rauchen verzichten.“ Da fühlt es sich doch gleich viel besser an, nicht zu rauchen. Meine neunjährige Tochter hat mir erzählt: Sie ist sehr gerne nett, weil sie schon oft erlebt hat, dass das Gute, das sie tut und sagt, zu ihr zurückkommt. Regeln, die mir selbst nützen, befolge ich natürlich besonders gerne.

Ich will dazugehören – also halte ich mich an die Regeln

Wenn ich zu einer bestimmten Gruppe von Menschen gehören will, halte ich mich gerne und meist von ganz allein an die Regeln, die in dieser Gruppe gelten. Das gilt für meine Herkunftsfamilie mit ihren vielen ungeschriebenen Regeln. Und für den Chor, in dem ich singe. Ich will dazugehören. Ich bin stolz, mitsingen zu dürfen, und es macht mir Freude.

Wenn ich weiß, wie ich mich verhalten kann, fühle ich mich sicher

Viele Regeln erleichtern das Zusammenleben. Ich muss nicht jedes Mal neu nachdenken, wie ich jemanden begrüße. Ich weiß in vielen Situationen, wie ich mich verhalten kann, und das gibt mir Sicherheit. Diese Sicherheit entspannt.

Religiöse Regeln waren jahrhundertelang selbstverständlich

Eine Art von Regeln war lange Jahrhunderte selbstverständlich: religiöse Vorschriften. In der Bibel finden sich viele Regeln und Gebote. Für viele Gläubige ist das von Gott gesetztes Recht. Die Angst vor Strafen war früher weit verbreitet – oft war es nicht nur die Angst vor einem strafenden Gott. Weil religiöses und weltliches Recht miteinander verquickt waren, hatten die Menschen auch Angst vor weltlicher Bestrafung. Drohungen waren fast allgegenwärtig. Heute gibt es keine Drohungen und Strafen mehr. Trotzdem halten sich Menschen noch an religiöse Gebote. Sie gehen sonntags in den Gottesdienst oder fasten in der Fastenzeit. Warum eigentlich?

Musik 3: Adon Olam / Herr der Welt (CD: Church meets Synagogue. Begegnung / Hans-Joachim Dumeier / Irith Gabriely, Track 10)                                                              

Gebote, die nur in bestimmten Situationen gelten

613 Gebote zählen Juden in der Thora, den fünf Büchern der Bibel, die Mose zugeschrieben werden. Das sind Regeln, die nach der Vorstellung gläubiger Juden von Gott kommen. Ein großer Teil davon kann und muss nicht von allen Juden erfüllt werden. So gibt es zum Beispiel viele Vorschriften, die den Tempel betreffen oder nur von Priestern einzuhalten sind. Und es gibt Gebote, die nur in bestimmten Situationen gelten. Deshalb werden sie nicht immer angewandt.

Gebote sollen Menschen auf einen guten Weg leiten

Allen diesen religiösen Vorschriften gemein ist, dass sie Menschen vom Bösen fernhalten und sie auf einen guten Weg leiten sollen. Sie sind zum Wohl des Menschen geschaffen. Wer sich an sie hält, kann zur Vollkommenheit gelangen. Sie sind eine göttliche Vorgabe, was das Gute ist und wie es zu erreichen ist. Das gilt für jeden einzelnen, der sich zum Judentum bekennt, und für das jüdische Volk als Ganzes. Nach jüdischer Vorstellung wandelt sich durch das Halten der Gebote jeder einzelne Mensch zum Guten und dadurch die ganze Welt. Das von Gott erwählte Volk ist dazu berufen, ein heiliges Volk zu sein, ein Volk, das die Welt durch sein Tun zum Guten verändert. Und das ist ein Grund zur Freude. Im Judentum gibt es sogar ein eigenes Fest für die Thora: Das Simchat Thora ist ein Freudenfest.

Das Wort ist ganz nah bei dir – du kannst es halten

Für viele Ohren klingt das vielleicht etwas seltsam: Gesetze voll Freude feiern? Beim Simchat Thora tragen die Rabbinerinnen und Rabbiner die Schriftrollen aus denen die Thora vorgelesen wird. In Israel gehen sie mit ihnen aus den Synagogen heraus. Tanzend und von lauter Musik begleitet ziehen die Menschen durch die Straßen. Sie erleben und drücken aus: Es ist eine Freude, diese Vorschriften zu haben und sich an sie zu halten. Im Alten Testament wird überliefert, wie Mose am Ende seines Lebens zum Volk Israel spricht. Er sagt im Auftrag Gottes:

„Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir. Es ist nicht im Himmel, sodass du sagen müsstest: Wer steigt für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündet es uns, damit wir es halten können? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, sodass du sagen müsstest: Wer fährt für uns über das Meer, holt es herüber und verkündet es uns, damit wir es halten können? Nein, das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.“ (Deuteronomium 30,11-14)   

Durch die Gebote tritt Gott mit den Menschen in Verbindung

Im jüdischen Verständnis sind die Vorschriften, die Gott den Menschen gibt, ein großes Geschenk. Sie sind eine Weise, wie Gott mit den Menschen und der Welt in Verbindung kommt. Wer sich an Gottes Gebote hält, ist mit Gott im Bund. Mit Gott verbunden zu sein, ist ein Grund zur Freude. Mich hat sehr überrascht, als ich eine kurze jüdische Auslegung dieses Abschnittes gelesen habe. Für den Autor belegt diese Stelle der Heiligen Schrift: es ist nicht schwer, sich an die Gebote Gottes zu halten. Es ist leicht. Es ist einfach. „Du kannst es halten“ – weil Menschen den göttlichen Willen erkennen und tun können. Weil Gott alle guten Anlagen in den Menschen gelegt hat. Deshalb kann jeder Mensch es schaffen, das Gute zu tun.                                                 

Was für eine befreiende Vorstellung

Was für eine befreiende Vorstellung: Es ist einfach, sich an das zu halten, was mich mit Gott verbindet. Für mich ist das ein sehr entspannter Ausgangspunkt für ein Handeln aus dem Glauben, für ein Leben nach Gottes Regeln.

Musik 4: Simchat Thora / Freude der Thora (CD: Church meets Synagogue. Begegnung / Hans-Joachim Dumeier / Irith Gabriely, Track 8)

Die Gebote sind der Schlüssel zum Glück

Der biblische Weisheitslehrer Jesus Sirach betont, wie gut es für den Menschen ist, sich an die Regeln zu halten, die Gott setzt. Auch für ihn sind sie der Schlüssel zu Glück und Freude: Gott will ein erfülltes Leben für jeden Menschen und seine Gebote sind der Weg dorthin. In eindringlichen Worten zeigt er: Die Gebote befolgen oder nicht befolgen: Das ist eine Entscheidung zwischen Leben und Tod. Wenn ich die Gebote Gottes befolge, dann entscheide ich mich für das Leben, und diese Entscheidung bestimmt das ganze Handeln, die ganze Wahrnehmung des Menschen. Da heißt es:

„Gott gab dem Menschen seine Gebote und Vorschriften.
Wenn du willst, wirst du die Gebote bewahren (…).
Er hat dir Feuer und Wasser vorgelegt,
was immer du erstrebst, danach wirst du deine Hand ausstrecken.
Vor den Menschen liegen Leben und Tod, was immer ihm gefällt, wird ihm gegeben.“     
(Sirach 15,15-17)

Ich kann frei entscheiden

Diese Entscheidung, die Entscheidung für das Leben, das Gott für jeden Menschen will, steht vor allen Einzelfragen im Alltag. Und sie wird nicht irgendwo im All von den Sternen entschieden oder von einem fremdbestimmten Schicksal – sondern von mir. Ich selbst entscheide mich, mein Leben mit Gott zu gestalten. Jesus Sirach ist dabei zuversichtlich: Menschen können finden, was sie wollen und brauchen. Auch wenn andere uns einschränken und behindern und nicht jeder Wunsch in Erfüllung geht: Über das Letzte im Angesicht von Leben und Tod bestimmen wir selbst. Es ist schmerzhaft, wenn ein Mensch enttäuscht ist oder glaubt, er oder sie sei gerade gescheitert – sei es an einer Beziehung oder einer Aufgabe.  Aber auch in diesen schwierigen Situationen ist es meine eigene Entscheidung, wie ich mich gegenüber der Erfahrung verhalte. Wieviel Macht gebe ich Scheitern und Enttäuschung über mich? Über meine Einstellung zu dem, was in meinem Leben schwierig ist, entscheide ich – und das macht mir Mut und gibt mir Hoffnung.

Jesus kam, um diese Gebote zu erfüllen, nicht um sie aufzuheben

Jesus von Nazareth kannte sicher seinen Namensvetter Jesus Sirach und die Aufforderung zu dieser Grundentscheidung. Als frommer Jude kannte er auch alle Gebote der Thora. Über diese Gebote sagt er, er sei nicht gekommen, um auch nur das Kleinste von ihnen aufzuheben. Sondern: Er sei gekommen, um sie alle zu erfüllen (Mt 5,17-19). In der Bergpredigt zitiert Jesus aus den Zehn Geboten: Du sollst nicht morden, du sollst nicht stehlen und nicht begehren, was zu jemand anderem gehört, du sollst nicht lügen. 

Jesus setzt noch etwas drauf auf die Gebote: Liebe

Aber dann macht Jesus klar, dass es ihm um mehr geht, als den Wortlaut dieser Gesetze zu befolgen. Gott ist als Mensch zu den Menschen gekommen, um ihnen die Liebe vorzuleben, die maßlos ist und sich nach irdischen Maßstäben nicht berechnen lässt: Auf alle Gesetze, die Jesus zitiert, setz er noch etwas drauf. Nicht nur: nicht töten, sondern: nicht einmal seinem Mitmenschen zürnen oder ihn beschimpfen. Nicht nur: die Ehe nicht brechen, sondern: schon Blicke und Gedanken, die andere für die eigene Lust missbrauchen, verletzten die Würde des Menschen. Nicht nur: nicht lügen, sondern ohne Hintergedanken, „Ja, ja“ sagen – nicht „Ja - aber“ oder „Nein, nein“ – ganz klar und einfach.

Für ihn ist Liebe der Kern der Thora

Kein Gesetz könnte dieses Denken fordern und durchsetzen. Für Jesus steht über dem Wortlaut der Gesetze die Idee: Menschen sind mit Gott und untereinander in Liebe verbunden. Diese Liebe ist für ihn der Kern der Thora. Bei seiner Auslegung aller Regeln ist das der Ausgangspunkt. Wenn die Liebe meine Grundhaltung ist, wenn ich die Regeln befolge, dann ermöglicht mir das ein Mehr an Leben.

Meine neue Einstellung kann helfen, das Angestrebte zu erreichen

Mit dem Halten göttlicher Gebote verbinde ich oft etwas Schweres: langes Nachdenken, was gemeint sein könnte, und komplizierte Überlegungen, was ich als nächstes tun soll. Das finde ich oft belastend. Manchmal ist es die Vorstellung, dass etwas nicht gelingt, die Menschen in ihrem Handeln einschränkt. Eine neue, unbeschwertere Einstellung zu derselben Sache kann dagegen helfen, das Angestrebte zu erreichen.

Ich wähle die Liebe als Richtschnur für mein Handeln

Ich habe mir deshalb vorgenommen, die Sache mal ganz anders anzugehen: Ich will gerne zu Gott gehören. Es erfüllt mich und ich habe erlebt: Mir tut das gut. Ich habe also die Grundentscheidung schon gefällt: Ich wähle die Liebe als Richtschnur für mein Handeln. Jetzt will ich noch davon ausgehen, dass das einfach ist und Freude bereitet. Ich hoffe: Diese Haltung eröffnet mir einen neuen Zugang zum Tun des Guten. Ich will es, ich werde es schaffen. Mal sehen, wohin das führt.

Musik 5: Havenu Shalom Alejchem / Wir bringen euch den Frieden (CD: Church meets Synagogue. Begegnung / Hans-Joachim Dumeier / Irith Gabriely, Track 15)

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