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Zweifeln macht menschlich
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Zweifeln macht menschlich

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Musikauswahl: Kantor Jochen Faulhammer
Sprecher der biblischen Texte: Jochen Faulhammer

 

Was war das wohl für ein Mensch, dieser Johannes der Täufer, geboren am 24. Juni, ein halbes Jahr vor Jesus? Wir kennen ja nur ein paar Äußerlichkeiten - aber wie dachte und fühlte Johannes?  

Johannes der Täufer ein Rufer in der Wüste

Ein Hauch von Tragik liegt über seinem Leben. Erst ist er ein überzeugter Verkünder, ein Rufer in der Wüste. Er tauft Menschen, auch Jesus. Dann kommen bittere Stunden im Gefängnis. Vor allem kommen ihm Zweifel. Die sind schlimm. Und doch sind sie menschlich. Genau genommen machen uns Zweifel erst zum Menschen. Wer nicht zweifelt, schaut weniger hin, denkt weniger nach. Zweifeln macht menschlich.

Musik: Franz Schubert, Streichquartett Nr. 15 G-Dur, 1. Satz: Allegro molto moderato

Elisabeth wird erst im Alter schwanger

Was war das für ein Mensch, dieser Johannes der Täufer? Sein Leben beginnt eher still, wie die Bibel uns erzählt (Lukas 1). Johannes ist der Sohn des Priesters Zacharias und seiner Frau Elisabeth, beides rechtgläubige Juden. Sie sind weitläufig mit der Familie von Jesus verwandt. Elisabeth ist hochbetagt und hat kein Kind. Das galt damals als eine Art Schande. Es sieht aus, als habe sich Gott von ihr abgewandt. Darum ist Elisabeth betrübt, ihr Mann auch. Eines Tages aber, als Zacharias gerade wieder seinen Tempeldienst versieht, tritt zu ihm der Engel des Herrn und sagt:

Fürchte dich nicht, Zacharias, denn eure Gebete sind erhört worden. Deine Frau Elisabeth wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Johannes geben. (Lukas 1, 13)

Gott erfüllt den Wunsch der alten Eltern und schenkt ihnen einen Sohn. Aus der jahrelangen Trauer der Eltern macht Gott große Freude.

Johannes ist genau ein halbes Jahr jünger als Jesus

Geboren wird Johannes dann genau sechs Monate vor dem Heiligen Abend. Johannes wächst heran im jüdischen Glauben und macht den Eltern Freude, nehme ich an, bis - ja, bis Johannes seinen eigenen Weg geht. Manchmal halten sich Söhne und Töchter nicht an den Weg, den Eltern ihnen vorgeben wollen.

Johannes radikalisiert sich

Johannes wird radikal, würden wir heute sagen. Er zieht sich aus der Welt zurück in die Wüste, kleidet sich eigentümlich in Felle von Kamelhaar und ernährt sich von Heuschrecken und wildem Honig. Wer so lebt, in dem arbeitet etwas. Auf jeden Fall sitzt Johannes nicht einfach so in der Wüste; und auch nicht nur für sich. Mit ihm zieht eine Schar von Menschen, die fasziniert von ihm sind.

Der Prophet Jesaja kündigt Johannes an

Johannes bereitet sich vor, wie wir wissen. Er wird zur Stimme, die ein frommer Mensch schon vor Jahrhunderten angekündigt hatte:

Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg,
macht in der Steppe eine ebene Bahn unserem Gott!
Alle Täler sollen erhöht und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, solleben werden;
denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander soll es sehen.
(Jesaja 40, 3-5)          

So lässt Gott es sagen durch seinen Propheten Jesaja: Alles wird sich umkehren. Wenn das kein Erdbeben ist.

Musik: Franz Schubert, Streichquartett Nr. 15 G-Dur, 1. Satz: Allegro molto moderato

Johannes weiß, dass er den Messias erkennen wird

Dann ist er da, der Rufer in der Wüste. Johannes ist diese Stimme. Und er weiß das. Nur wir wissen nicht, woher er das weiß: Ist es Eingebung? Oder ein Fingerzeig Gottes? So könnte es sein. Johannes ist in der Wüste und wartet auf den, der kommen soll, den Messias, den Christus, den von Gott Gesalbten. Jahrhundertelang ist dieser Gesalbte vorhergesagt worden. Johannes weiß nicht, wie der Gesalbte aussehen wird, wie er sich kleidet, wie er spricht. Aber Johannes weiß: Wenn der Gesalbte Gottes da ist, werde ich ihn erkennen. Und er mich.

Johannes zieht aus der Wüste an den Jordan

Eines Tages reicht ihm das Warten nicht mehr. Er verlässt die Wüste. In seinen Fellen aus Kamelhaar stellt er sich an den Jordan. Dort macht er etwas, was die Menschen verblüfft und verstört. Er ruft zur Umkehr. Wieder klingen seine Worte wie ein Erdbeben:

Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! (Matthäus 3, 2)

Und als sei das noch nicht genug vom Ernst des Lebens, wird Johannes ganz deutlich und ruft:

Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchteder Buße …
Und die Menge (der Menschen) fragte Johannes und sprach: Was sollen wir denn tun? Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. Es kamen aber auch die Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!
Da fragten ihn auch die Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold; (an dem, was ihr habt)!
(Lukas 3, 7-14)

Johannes der Täufer stellt die Welt auf den Kopf.

 Musik: Franz Schubert, Streichquartett Nr. 15 G-Dur, 1. Satz: Allegro molto moderato

Johannes will die Welt verändern und tauft

Johannes stellt die Welt auf den Kopf. Wer Gott haben will, soll abgeben, sagt Johannes. Wer Gott spüren will, soll mit den Armen teilen. Wer getauft ist, darf nicht allein für sich leben, sondern lebt immer mit allen Geschöpfen, hat immer auch die anderen Geschöpfe im Blick und im Herzen. Es gibt keine Entschuldigung für die, die den Willen Gottes nicht tun. Entschuldung gibt es nur für die, die sich erbarmen. Während Johannes noch redet und immer mehr Menschen zu ihm kommen, um sich von ihm taufen zu lassen, geschieht in der Stille etwas Besonderes. Ein jüngerer Mann, vielleicht um die dreißig Jahre alt, nähert sich Johannes und steht ihm schließlich direkt gegenüber.

Der Messias ist da

Der Gesalbte ist da. Das Warten von Jahrhunderten hat ein Ende. Endlich. Jesus ist direkt vor Johannes. Johannes erkennt den Mann. Du bist der Sohn Gottes, sagt er. Du bist der Gesalbte. Dich kann ich nicht taufen. Ich bin noch nicht einmal gut genug, dir die Schuhriemen zu öffnen. Aber Jesus sagt: Lass es doch jetzt geschehen. Und Johannes tauft Jesus (Matthäus 3, 13-17). Dabei spricht eine Stimme aus dem Himmel:

Dies(er) ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Johannes erlebt den Höhepunkt seines Lebens. Und dann - beginnt der Zweifel.

Musik: Franz Schubert, Streichquartett Nr. 15 G-Dur, 1. Satz: Allegro molto moderato

Johannes wird dem König unbequem

Ein Hauch von Tragik liegt über dem Leben Johannes des Täufers. Gerade ist er auf dem Höhepunkt seines Lebens. Er hat Jesus, den Sohn Gottes, den Gesalbten, erkannt und getauft. Aber dann geht es bergab. Johannes ist zu unbequem. Der mächtige König Herodes fühlt sich von Johannes angeklagt, zu Recht übrigens. Der üppige Lebensstil am Königshof war Johannes ein Dorn im Auge. Wer Gott haben will, soll abgeben, sagt Johannes. Wer Gott spüren will, soll mit den Armen des Landes teilen. Wer Gott als Vater anruft, darf nicht alleine für sich leben, sondern lebt immer mit allen Geschöpfen auf der Welt, hat immer auch andere im Blick und im Herzen. Es gibt keine Entschuldigung für die, die den Willen Gottes nicht tun. Das gilt auch für Regierende. Aber der König will nicht hören und lässt Johannes verhaften.

Johannes beginnt zu zweifeln

Darf das sein?, fragt sich Johannes dann im Gefängnis. Ich habe den Heiland gesehen - und muss dafür nun im Gefängnis sitzen? Die Tragik des Johannes beginnt. Er zweifelt an Jesus und an der Macht Gottes. Vorsichtig lässt der gefangene Johannes mit Hilfe von Freunden bei Jesus nachfragen: Bist du wirklich der, der kommen soll, der Befreier unseres Volkes? Oder sollen wir auf einen anderen warten? (Matthäus 11, 4-5). Und Jesus lässt ihm antworten:

Sagt dem Johannes: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Den Kopf des Johannes als Preis für einen Tanz

An diesem Glauben muss sich Johannes nun festhalten im Gefängnis. Mehr als die Worte Jesu hat er nicht. In diesem Glauben muss Johannes auch die letzte Schmach seines Lebens ertragen. Ihm wird, am Geburtstag des Königs, der Kopf abgeschlagen. Salome, die Tochter des Königs, bekommt den Kopf des Johannes auf einem Silbertablett überreicht. Für einen schönen Tanz vor dem Vater hat sie sich diesen Kopf angeblich „gewünscht“ (Matthäus 14, 6-12). Hemmungslos können Mächtige sein, solange sie die Macht haben. Wenn sie dann die Macht verlieren, werden sie oft weinerlich und bitten um die Gnade, die sie selber niemandem gewährt haben.

Jesus muss geweint haben

Jesus muss geweint haben, stelle ich mir vor, als er vom Tod des Johannes hörte - dem Rufer in der Wüste, dem Mann, der Jesus den Weg bereitet hat. So kraftvoll sein Leben war, ein Hauch von Tragik liegt über Johannes’ Leben, das an einem 24. Juni beginnt. Von jetzt an werden die Tage wieder kürzer. Oder, wie Johannes sagt:

Ich muss abnehmen, Jesus aber wird wachsen. (Johannes 3, 30)

Um Johannes wird es dunkel am Ende seines Lebens. Wie soll man leben, wenn es dunkel wird und die Zweifel übermächtig werden?

Musik: Franz Schubert, Streichquartett Nr. 15 G-Dur, 1. Satz: Allegro molto moderato

Wie kann ich mit Zweifeln leben?

Wie kann man leben, wenn die Zweifel an Gott groß werden oder gar übermächtig? Das ist die große Aufgabe von Menschen, die ihr Leben oder das Leben von Verwandten oder Freunden als tragisch empfinden. Wie kann ich damit leben? Kann ich dann noch glauben? Erkenne ich Gott noch, den gütigen Vater?

Es ist nur menschlich, wenn wir zweifeln. Das redet man einander nicht aus. Zweifel sind wichtig. Es gibt in der Bibel und in der Geschichte der Kirche viele Menschen, die ihre großen Zweifel hatten. Hiob, ein weiser Mann, vom dem das Alte Testament erzählt, hat gezweifelt und Gott viele Fragen gestellt. Der Reformator Martin Luther hat Gott Vorwürfe gemacht; auch der Pfarrer und Widerstandskämpfer gegen Hitler, Dietrich Bonhoeffer, suchte nach der Gnade. Zweifel an Gott und seiner Güte sind berechtigt. Man kann sie nicht wegwischen. Es ist auch niemandem geholfen, dann einfach zu sagen: Du musst eben glauben. So einfach ist es nicht. Glauben ist nicht blind, sondern sehend. Wir wollen wissen, soweit es möglich ist. Darum lässt Johannes ja fragen: Jesus, bist du es wirklich, auf den wir gewartet haben seit Hunderten von Jahren?

Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert

Und Jesus gibt eine Antwort, als Johannes ihn fragt. Johannes ist angefochten, wie das alte Wort sagt. Er fühlt sich, als sei ein Messer in seine Seele eingedrungen. Einerseits will er glauben, dass Jesus die Menschen heilt - andererseits hat er Schmerzen, weil er vom Heil nichts mehr spürt. Ein Messer ist in seiner Seele, er ist angefochten. Und Jesus antwortet ihm: Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Das klingt ein wenig schlicht, ist aber nicht so gemeint. Jesus selbst wird noch Zweifel haben und nach seinem Gott rufen: Warum hast du mich verlassen? Viele Menschen müssen erleben, dass sich ihnen Gott verdunkelt und sie das Gefühl haben, ein Messer sei in ihrer Seele. Was kann man dann noch tun oder denken? Was kann man dann noch glauben?

Immer etwas mehr vertrauen als zweifeln

Ich habe das mal einen Mann gefragt, der viel Leid getragen hat. Wir waren uns ziemlich nahe, darum habe ich mich auch getraut zu fragen. Er hat erst eine Weile nachgedacht - und mir dann etwa gesagt: Ich habe immer versucht, ein klein wenig mehr zu vertrauen als zu zweifeln, hat der Mann gesagt. Ich habe mir Mühe gegeben, dass der Zweifel mich nicht beherrscht, mich nicht wegspült, sozusagen. Ich habe auch nicht so weit nach vorne geguckt, sondern eher auf heute und morgen. Ich habe versucht, an diesem Tag und am nächsten das zu tun, was gerade nötig ist. Und das richtig zu tun, sorgfältig. Das Tagewerk gut zu tun, hat der Mann gesagt, gewissenhaft, das ist viel. Das hat mir geholfen. Und, wie gesagt, ich habe mich manchmal ein wenig zum Vertrauen gezwungen.

Musik: Franz Schubert, Streichquartett Nr. 15 G-Dur, 1. Satz: Allegro molto moderato

Wenn man nicht mehr genau weiß, was man glauben soll, kann man noch eins tun, und das mit ganzer Kraft. Ich kann zu Gott sagen: Ich verstehe dich nicht, Gott, aber ich werde so lange an dir festhalten, bis ich dich verstehe. Ich werde dich nicht loslassen. Ich werde mich wie festkrallen an dir und werde so lange zu dir beten und rufen, bis du mir eine Antwort gibst, warum mein Schmerz sein soll oder der meiner Liebsten. Vielleicht geht ja wirklich, was der Mann gesagt hat: „Ich habe mich ein wenig zum Vertrauen gezwungen. Und: Ich habe immer versucht, ein klein wenig mehr zu vertrauen als zu zweifeln.“

Johannes fragt Jesus

Das ist schwer, stelle ich mir vor. Aber bevor ich ganz und gar verzweifle oder in Anfechtung versinke, will ich es machen wie Johannes. Als er nicht mehr zurechtkommt mit seinem Leben, fragt er Jesus, ob bei Gott noch alles mit rechten Dingen zugeht. Und Jesus sagt ihm: Ja. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Trost und Hilfe bei den Paslmen finden

Was könnte der fromme Johannes mit dieser Antwort gemacht haben, frage ich mich? Vielleicht hat er das gemacht, was unzählige Menschen vorher schon gemacht haben und noch heute machen, wenn sie nicht mehr weiterwissen und ihnen die Zweifel über den Kopf zu wachsen drohen. Johannes hat vielleicht Worte vor sich hingemurmelt. Worte, an denen er sich festgehalten hat wie an einem Versprechen. Worte, die Menschen tragen können und die wie ein Nest sind, aus dem man nicht herausfallen kann. Der HERR ist mein Hirte, könnte Johannes gesprochen haben, mir wird nichts mangeln. (…) Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir (Psalm 23).

Ruhe ist oft der Anfang von ein wenig mehr Zuversicht

Wer diese Worte spricht in größter Not, dem schenken sie etwas, glaube ich. Sie schenken eine gewisse Ruhe. Und Ruhe ist oft der Anfang von ein wenig mehr Zuversicht. Ich sehe klarer und erkenne, was mir guttut und wer es gut mit mir meint; wer mit mir geht durch düstere Zeiten. Die Menschen, die mit mir gehen, sind ein wichtiges Zeichen. Ihre Fürsorge und ihr Bemühen um mich ist Gottes Nähe zu mir. Menschen, die mit mir tragen, sind immer der Grund, warum ich sagen kann: Ich vertraue. In denen, die mich lieben, ist mir Gott nahe. Er ist auch denen nahe, die sich einsam fühlen, verlassen. Manchmal erkenne ich das erst später. Und sage dann dankbar: Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir.

Musik: Franz Schubert, Streichquartett Nr. 13 a-moll, 2. Satz: Andante

 

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