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Dona nobis pacem! Gib Frieden, Gott!
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Dona nobis pacem! Gib Frieden, Gott!

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Manchmal liege ich morgens im Bett und bin einfach nur dankbar. Dankbar dafür, dass ich ruhig und friedlich schlafen konnte in dieser Nacht. Ich denke an die vielen, vielen Menschen, die nachts Angst haben müssen vor Bomben und Raketen, vor Schüssen und Gewalt. Vor allem muss ich derzeit natürlich an die Ukraine denken. Ein paar Tausend Kilometer entfernt von uns, noch mitten in Europa, herrscht Krieg, und ich will mich nicht daran gewöhnen. Aber auch an anderen Orten dieser Erde können Menschen nachts nicht in Frieden schlafen. In Syrien, im Jemen, in Nigeria.

Dankbar für ein Erwachen im Frieden

Wenn ich morgens in meinem Bett liege und dankbar dafür bin, dass die Vögel zwitschern und Frieden herrscht bei mir ums Haus, dann lautet mein erstes Morgengebet: Gib Frieden, Gott! Seit Jahrtausenden bitten und flehen Menschen um Frieden. Dona nobis pacem! Gib uns Frieden! So heißt es auch im Agnus Dei, im Lamm Gottes der heiligen Messe. Um den Frieden soll es heute auch in dieser Morgenfeier gehen. Ich habe dazu Musik mitgebracht, die vom Frieden erzählt und zum Frieden aufruft. Gleich als erstes: eine Passage aus einem Agnus Dei von Claudio Monteverdi. Ich hoffe darauf: Mit Musik und Gebet, mit der Kraft vieler Menschen kann der Frieden auf dieser Welt wachsen.

Musik 1: aus Claudio Monteverdi, Agnus Dei aus der Missa a 4 voci (CD: Claudia Monteverdi, Selva Morale e Spirituale, Missae et Psalmi, Kammerchor Stuttgart, Barockensemble Stuttgart, Frieder Bernius, CD 3, Track 11)

Friedenserfolge in Kolumbien

Dona nobis pacem! Gib uns Frieden! So wird auch in diesem Agnus Dei von Claudio Monteverdi gebetet und gesungen. Mit dem flehentlichen Ruf nach Frieden enden die meisten Messkompositionen. Gib Frieden, Gott! Heute am 19. Juni bete ich besonders für den Frieden in Kolumbien. In dem südamerikanischen Land findet heute die Stichwahl zum Präsidentenamt statt. Über Jahrzehnte war Kolumbien von Gewalt und Krieg geprägt. Aber es hat dort auch große Friedensbemühungen und Friedenserfolge gegeben.

Frieden durch Unterstützung von Papst Franziskus

Vor sechs Jahren, 2016 konnten Regierung und Rebellen in Kolumbien nach jahrelangen Verhandlungen einen Friedensvertrag schließen, Guerilla-Kämpfer legten ihre Waffen ab. Der damalige Präsident Juan Manuel Santos hat dafür 2016 sogar den Friedensnobelpreis bekommen. Auch die katholische Kirche hatte sich mit um den Frieden bemüht. Präsident Santos sagte damals: Ohne Papst Franziskus hätte der Frieden so nicht gelingen können.

Wir waren mal Feinde und sind jetzt Freunde

Ich habe vor einiger Zeit einen Artikel gelesen über den Friedensprozess in Kolumbien, der mich bis heute beeindruckt. Zwei junge Kolumbianer erzählen darin, wie sie im Krieg gekämpft haben, der eine auf der Seite der FARC-Rebellen, der andere bei den rechten Paramilitärs. Sie haben in diesem grauenhaften Krieg gegeneinander gekämpft, in dem über 200.000 Menschen umkamen und sechs Millionen vertrieben wurden. Und jetzt, so zeigt der Artikel, sitzen sie nebeneinander und lachen sich an und umarmen sich. „Wir waren mal Feinde, jetzt sind wir Freunde,“ sagen sie.

Wunderbar und ermutigend

Ich finde solche Versöhnungs- und Friedensgeschichten so wunderbar und ermutigend. Und ich bete heute, am Tag der Stichwahl in Kolumbien, besonders dafür, dass es dort weitergeht mit dem Frieden. Dass Frieden und Gerechtigkeit weiter wachsen können.

Frieden ist möglich, auch nach vielen Jahren

Frieden ist kein Hirngespinst. Er ist möglich, im Großen wie im Kleinen. Auch im Privaten gibt es das ja immer wieder: dass nach langen Jahren des Streits oder des Schweigens Versöhnung gelingt. Es braucht vielleicht nur eine, die den ersten Schritt wagt. Ich hab das schon in der Familie erlebt: dass nach Jahren des Kontaktabbruchs Verwandte wieder miteinander reden. Und auch bei Freundinnen: Nach langen Jahren der Distanz lagen sie sich wieder in den Armen. Die Freude über den Frieden war riesig.

„Verleih uns Frieden gnädiglich“, so heißt ein berühmtes Lied von Martin Luther. Hier klingt es in einem Satz von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Musik 2: aus Felix Mendelssohn Bartholdy, Verleih uns Frieden gnädiglich (CD: Luthers Lieder, Kammerchor Stuttgart, Stuttgarter Kammerorchester, Frieder Bernius, CD 2)

Gerechtigkeit für Amazonien

„Verleih uns Frieden gnädiglich“, gib Frieden, Herr! So beten Christinnen und Christen aller Konfessionen immer wieder. Und selbst manch Glaubenszweifler kann sich vielleicht einschwingen in diese Bitte um Frieden, wenn sie so eindringlich und wunderbar gesungen wird wie hier in der Musik von Martin Luther und Felix Mendelssohn Bartholdy.

Frieden hinterlasse ich euch

Der Frieden ist auch ein Schlüsselwort in der Bibel. „Frieden hinterlasse ich euch!“ (Johannes 14,27), sagtJesus seinen Jüngerinnen und Jüngern zum Abschied, bevor er gen Himmel fährt. Und auch in anderen Religionen ist der Frieden ein zentraler Begriff und ein wichtiger Gruß: Salaam! Shalom! Der Frieden meint in den religiösen Traditionen nicht einfach nur eine Abwesenheit von Gewalt. Es ist ein Zustand des Wohlergehens, für jeden Einzelnen und für alle zusammen. In der jüdischen und christlichen Bibel sind Frieden und Gerechtigkeit eng miteinander verwoben. „Gerechtigkeit und Frieden küssen sich“, heißt es einem Psalm (Psalm 85,11).

Frieden gelingt nur mit Gerechtigkeit

Auch der Prophet Jesaja nennt Frieden und Gerechtigkeit immer wieder in einem Atemzug. Die große Gottes-Herrschaft des Friedens, so sagt er, wird gefestigt und gestützt durch Recht und Gerechtigkeit (vgl. Jesaja 9,6). Und der Prophet wettert gegen die Mächtigen, die die Armen ausnutzen und sie ihrer Rechte berauben, „Wehe ihnen!“ ruft er.

Unrecht, das sich auf die gesamte Welt auswirkt

Ich muss dabei schon wieder an Südamerika denken. Beim Katholikentag in Stuttgart vor dreieinhalb Wochen hat mich eine Frau aus Brasilien beeindruckt. Schwester Laura Vicuna, indigene Anthropologin vom Volk der Kariri. Sie hat auf einem Podium davon erzählt, wie die indigenen Völker in Brasilien um ihr Recht auf ihre Heimat gebracht werden. Wie Menschen verfolgt und umgebracht werden, weil sie sich für dieses Recht einsetzen. Und es wurde sehr deutlich: Dieses Unrecht in Brasilien hat auch Auswirkungen auf uns in Europa und die ganze Welt: Denn auf dem Land der Indigenen wird der Regenwald abgeholzt und niedergebrannt, um des Profits der Reichen willen. Der Regenwald des Amazonas aber ist die Lunge der Erde, er ist verantwortlich für etwa 20 Prozent unseres Sauerstoffs, und wenn der Amazonas einen Kipppunkt erreicht, dann droht die ganze Erde für den Menschen zu kippen.

Der Friedensgruß ist auch Aufforderung zum Handeln

Schwester Laura aus Brasilien hat auf dem Podium beim Katholikentag mit starker Stimme zur Solidarität aufgerufen. Jetzt Ende Juni wird in Brasilien ein Gerichtsurteil gefällt zu den Rechten der Indigenen auf ihr Land. Ich will mich informieren und engagieren, vielleicht eine Petition unterschreiben. Ich habe auch etwas gespendet an das Hilfswerk Adveniat, das Schwester Laura unterstützt. „Frieden hinterlasse ich euch“, hat Jesus zum Abschied gesagt. Der Friedensgruß ist für mich auch eine Aufforderung zum Handeln.

Musik 3: Knut Nystedt, Peace I Leave With You (CD: Querschnitt, Frankfurt a cappella, Track 2)

Das Dilemma der Friedensbewegung im Ukraine-Krieg

„Frieden hinterlasse ich euch!“ hat Jesus zum Abschied gesagt. „Peace I Leave With You“, heißt das auf Englisch, hier vertont von Knut Nystedt, einem zeitgenössischen Komponisten aus Norwegen. Sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, das ist eine urchristliche Aufgabe, und viele Christinnen und Christen auf dieser Welt tun es, zum Teil riskieren sie dabei ihr Leben, in Kolumbien, in Brasilien und anderswo.

Pax Christi bemüht sich um Friedenssicherung ohne Waffen

Es gibt auch eine internationale christliche Friedensbewegung. „Pax Christi“, „Friede Christi“, heißt sie. Ich bin dort seit einigen Jahren Mitglied. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf ist der Präsident der deutschen Sektion. Pax Christi unterstützt die Friedensarbeit in vielen Ländern und kritisiert immer wieder den Waffenhandel. Natürlich ist die christliche Friedensbewegung, wie viele andere, in diesen Zeiten des Krieges in der Ukraine in einem schwierigen Dilemma. Darf man Waffen liefern? Müssen wir jetzt aufrüsten? Wieviel Selbstverteidigung ist erlaubt? Ich merke, auch ich ringe in diesen Fragen mit mir und finde keine einfache Antwort. Ich habe ein sehr mulmiges Gefühl, wenn jetzt viele Milliarden Euro in Waffen gesteckt werden, während andere Bereiche, die zur Friedenssicherung dringend nötig sind, immer noch zu wenig Geld und Aufmerksamkeit bekommen. Etwa der faire Handel, Handelsbeziehungen, die wirklich die Menschenrechte im Blick haben, zum Beispiel eben in den Ländern Amazoniens. Oder die Unterstützung demokratischer Systeme und zivilgesellschaftlicher Kräfte weltweit. Ganz besonders auch: der Kampf gegen die Klimakrise. Der Klimawandel wird ja mit Sicherheit zu mehr Verteilungskämpfen und Flüchtlingsbewegungen führen in den nächsten Jahren. Das können wir nur verhindern durch mehr Klimaschutz bei uns und weltweit. Frieden sichern, davon bin ich nach wie vor überzeugt, das geht vor allem ohne Waffen. Es ist vielleicht so etwas mühsamer und komplexer, aber auf Dauer erfolgreicher.

Ich hoffe, dass die Waffen bald schweigen

Trotzdem: Jetzt, in dieser Situation in der Ukraine kann ich auch schlecht sagen: Es geht ganz ohne Waffen, nur mit gewaltfreiem Widerstand. Das kommt mir dann doch zynisch vor gegenüber den Ukrainerinnen und Ukrainern, die ihr Land, ihr Leben, ihre Freiheit verteidigen. Aber ich hoffe und bete inständig, dass die Waffen bald schweigen und dass wieder Frieden einkehrt.

Krieg hinterlässt unendlich lange Spuren

Der Krieg hinterlässt ja auch so unendlich lange Spuren und Verletzungen. Wenn ich jetzt immer wieder höre, wie alte Menschen bei uns von den Bildern aus der Ukraine an ihre Kriegserfahrungen erinnert werden, die 80 Jahre zurückliegen, dann denke ich oft: Auch dieser Ukraine-Krieg wird so viele Jahre und Jahrzehnte weiterwirken und weiter schmerzen. Krieg ist immer furchtbar und eine Niederlage der Menschheit. Zu spüren ist das auch in den Tönen des „War requiem“ von Benjamin Britten.

Musik 4: Benjamin Britten, „Agnus Dei“ aus dem War Requiem (CD: Simon Rattle, Britten, CD 4)

Was kann ich tun für den Frieden?

„Dona nobis pacem“, „Gib uns Frieden“, so klingt es auch hier wieder, am Ende des „War requiem“, des „Kriegs-Requiem“ von Benjamin Britten. Vor fast genau 60 Jahren, am 30. Mai 1962, ist es in der wiederaufgebauten Kathedrale von Coventry uraufgeführt worden. Der Vorgängerbau der Kathedrale war durch die deutsche Bombardierung im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört worden.

Jage dem Frieden nach

Krieg zerstört Gebäude und Menschen, auf lange Zeit. Und deswegen müssen Kriege so bald wie möglich beendet werden – und der Frieden, wo er herrscht, muss erhalten werden. „Suche den Frieden und jage ihm nach!“ (Psalm 34,15) heißt es in einem Psalm der Bibel.

Was kann ich für den Frieden tun?

Wie geht das heute, was kann ich tun? Ich denke: Friedensarbeit hat viele Facetten. Da ist die alltägliche, die mit meinem Konsum zu tun hat. Im Grunde fängt Friedenssicherung am Supermarktregal an. Wenn ich faire Produkte kaufe, fairen Kaffee, faire Schokolade, wenn ich kein billiges Rindfleisch aus Südamerika kaufe: Dann sorge ich mit dafür, dass in anderen Ländern Frieden und Gerechtigkeit wachsen können. Oder wenn ich mehr Fahrrad fahre und zu Fuß gehe: Dann verbrauche ich weniger fossile Energien – und sichere damit Frieden. Durch den Krieg in der Ukraine ist uns das ja noch deutlicher geworden: Auch unser Energieverbrauch hat mit Krieg und Frieden zu tun. Das ist einerseits verstörend, aber andererseits bedeutet es auch: Ich als Einzelne kann etwas tun. Ich habe eine gewisse, kleine Macht, was den Frieden in der Welt angeht.

Fang im Kleinen an

Und natürlich gibt es auch die ganz private Seite des Friedens. Der Frieden in der Nähe wächst, wenn ich mit den Menschen um mich herum friedlich umgehe, ihnen respektvoll begegne, und vor allem auch: meinem Gegenüber zuhöre. Das klingt so klein und ist manchmal so herausfordernd.

Es beginnt mit dem inneren Frieden

Und schließlich gibt es auch den Frieden mit mir selbst. Der scheint ja manchmal am schwierigsten. Und zugleich hat dieser innere Friede so viel mit dem äußeren zu tun. Ich merke: Wenn ich mit mir selbst unzufrieden und im Unfrieden bin, dann fällt es mir oft schwer, zu anderen freundlich zu sein, gelassen und friedlich zu reagieren. Und umgekehrt: Wenn meine innere Balance stimmt, dann kann ich auch mit dem Menschen um mich herum friedlicher umgehen. Und mich für den Frieden in der Welt einsetzen.

Heute atme ich durch und tanke Kraft

Vielleicht ist deswegen der Sonntag heute sogar ein Mittel zum Frieden: Ich gönne mir eine Auszeit, ich atme durch. Ich genieße den Frieden um mich herum und tanke Kraft. Und ich bete aus tiefstem Innern für den Frieden in dieser Welt. In der Ukraine und an vielen anderen Orten. Dona nobis pacem, gib uns Frieden, Gott!

Musik 5: Johann Sebastian Bach, Dona nobis pacem aus der h-Moll-Messe (CD: J.S. Bach, Messe in h-Moll, Gächinger Kantorei Stuttgart, Freiburger Barockorchester, Hans-Christoph Rademann, CD 2, Track 16)

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