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Krieg, ganz nah
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Krieg, ganz nah

André Lemmer
Ein Beitrag von André Lemmer, Katholischer Pfarrer in der Pfarrei Sankt Elisabeth in Kassel
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Ich wache auf, und es ist Krieg in der Ukraine. Was vor einer Woche scheinbar weit weg war, ist plötzlich erschütternde Realität. Mich persönlich treffen die Nachrichten sehr. Ich habe Freunde in der Ukraine. In Iwano-Frankiwsk und auch in Lemberg.

Aus Lemberg erreichen mich früh am Morgen nach der Invasion schon vor dem Kaffee die ersten Bilder. Rauchsäulen von Raketeneinschlägen sind dort zu sehen. Einer meiner Freunde dort ist Nazar. Ich habe mit ihm in Fulda einige Jahre studiert. Heute ist Nazar Priester in Lemberg an der ukrainisch-katholischen Universität. Immer wieder hält er mich auf dem Laufenden. Ich frage ihn, ob er Lemberg verlassen hat. Dort ist auch ein Militärflughafen. Nein, antwortet Nazar. Ich bleibe, schreibt er. Ich bleibe für meine Studenten, ich bleibe für meine Gemeinde, und ich bleibe, weil meine Arbeit gebraucht wird. Auch seine Frau Natalia und seine beiden Kinder bleiben in der Stadt.

Nazar hat am Morgen mit seinen Studenten zuerst eine Messe gefeiert. Sie haben dort für den Frieden gebetet. Viele Studenten und Familien an der Universität werden danach evakuiert. Andere müssen bleiben, weil sie aus Donezk oder Luhansk stammen und nicht in ihre Heimat zurückkönnen, sie brauchen Betreuung. Ein großer Teil der Studenten organisiert Hilfspakete mit Essen und Medikamenten für die Soldaten und Opfer. Alle versuchen, irgendwie nützlich zu werden in einer Situation, die kalt und erbarmungslos ist.

Mich bittet Nazar um das Gebet. Und natürlich bete ich, ganz intensiv. Es ist mir ein tiefes Bedürfnis, für die Menschen in der Ukraine zu beten, Gott um Schutz für sie zu bitten.

Ich habe dabei auch Postkarten vor Augen, die Nazars Kinder vor einer Woche gebastelt haben. Seine Tochter Melania ist neun und sein Sohn Hordiy ist sechs. Die Sätze auf ihren Karten übersetzt mir Nazar so:

"Unser lieber Soldat, danke, dass du unser Vaterland verteidigst.
  Wir wünschen dir: Bleib lebendig und komm nach Hause."

Schlicht, aber klar schreibt die kleine Melania diesen Satz auf ihre Karte und vielleicht auch auf die Karte ihres Bruders, der erst in diesem Jahr eingeschult wird. Mich bewegen die Worte tief, die diese Kinder schreiben. Es geht hier nicht um patriotische Propaganda, sondern um etwas, das schon die Kleinsten erfassen. "Bleib lebendig und komm nach Hause." Ich denke, nicht nur Melania und Hordiy haben diesen Wunsch für die Soldaten, sondern auch alle Eltern von Soldaten, ihre Ehepartner und Freunde.

Ich hoffe, die Karten sind bei den Soldaten angekommen. Ich nehme diesen Wunsch auf und bete, dass dieser Konflikt wenige Leben fordert. Ich bete um Frieden in der Ukraine. Ich bete um Frieden - ganz besonders für Melania und Hordiy.

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